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traurig: ‚Quäle mich nicht! Wer wird daran denken? Nur die gegenwärtige Stunde gehört uns – warum soll sie getrübt werden? Du wirst es bereuen – wer weiß, wie bald!’

Ich kann Ihnen nicht erklären, wie es kommt, daß ich mich so lange durch diese Ausflüchte hinhalten ließ, daß sie niemals einen Verdacht in mir erweckten, daß ich die Frage, ob ein Geheimniß zwischen uns stehe, nicht an sie zu richten wagte. Und als ich endlich so weit war, als ich den Muth zu dieser verzeihlichen Frage gefaßt hatte, da kam sie mir, als wisse sie alles, als lese sie mir jede Regung der Seele vom Gesicht ab, zuvor, indem sie mir die kleine Locke aus der Stirn strich und scherzend fragte: ,Was denkt und grübelt man da wieder? Glaubt man einem Geheimniß auf der Spur zu sein, daß man ergründen will? Ach, mein Freund, wenn du wüßtest, wie wenig das Wort Geheimniß Sinn hat, wenn es mit mir in Verbindung gebracht wird, und wie es mich nur geheimnißvoll erscheinen läßt, daß ich so gar kein Geheimniß habe, und vor dir vollends nie eins haben könnte und haben werde!’

Mündlich und schriftlich habe ich sie um eine Zusage bestürmt, mündlich wie schriftlich hat sie mich gebeten, kein Versprechen zu verlangen, und es war so viel schmerzliche, leidenschaftliche, nervöse Innigkeit in der Bitte, mir an ihrer Liebe, an ihrer ganzen, vollen, rückhaltlosen Liebe genügen zu lassen, daß ich mich immer wieder entwaffnen ließ und mich immer wieder fügte, bis die Ungewißheit dieses ‚in den Tag hinein’ Lebens mir eine neue Frage, eine neue Bitte abzwang. Was weiter werden soll, wie lange ich dieses Hangen und Bangen (oder Langen und Bangen nach der Lesart der Goethekenner – die Herren scheinen nicht zu ahnen, wie gleichwerthig für einen Verliebten beide Lesarten sind!) ertrage – ich weiß es nicht!“

Und er stützte den Kopf wieder in die Hand und starrte düster in die trübe Flamme des tropfenden Unschlittlichts. Ich gestehe, mir war dabei nicht wohl; ein so scharfer und richtiger Menschenbeobachter Curt auch sonst war, der Geliebten gegenüber, die seine Phantasie gefangen genommen, war er es gewiß nicht. Um sie lieben zu können, mußte er sie vorher zu einem fleckenlosen Geschöpf von idealer Reinheit und Güte machen, und gelingt es einer Frau, diesen Glauben im Herzen eines Idealisten zu erwecken, woran sie sehr unschuldig sein kann, so kann sie darauf hin lange ungestraft sündigen: der Träumer wird viel lieber und leichter den dunklen Abmahnungen und Warnungen seines Gefühls mißtrauen, als der Geliebten, und er wird sich mit dem Scharfsinn von zehn Juristen bemühen, alle ihre früheren und gegenwärtigen Handlungen, wie fatal sie auch seine reizbare Empfindlichkeit berühren, wie unangenehm auch der Beigeschmack sei, den sie für ihn haben, zu beschönigen, zu erklären, zu rechtfertigen, und sie so lange zu drehen und zu wenden, zu glätten und zu poliren, bis sie sich endlich doch mit seiner abgöttischen Verehrung vertragen. Und unsereiner steht dabei, findet gar mancherlei bedenklich, stößt überall auf ein Defizit an Innigkeit, an Ehrgefühl und an Respekt vor der Wahrheit und kann nicht recht begreifen, was der so Hellsehende und Spottlustige an diesem bei mancher guten Eigenschaft mit argen Fehlern Behafteten und jedenfalls nicht über das Durchschnittsniveau emporragenden Geschöpf gefunden hat, um das wir uns nicht halb so viel Mühe geben würden wie er und das uns sogar nach mancher Richtung hin eine entschiedene Abneigung einflößt.

Wird freilich dem Idealisten der unwiderlegliche Beweis geliefert, daß die Frau, die er vergötterte, ein sehr sterbliches und gebrechliches Menschenkind ist, das vielleicht sogar über eine nicht alltägliche Dosis Falschheit und Hinterlist verfügte, so ist der Umschlag um so gewaltsamer und vollständiger. Dann ist an der ihres Nimbus Entkleideten nichts mehr, weswegen man sie lieben oder nur achten könnte; die bunten Steine, die zu einer kunstvollen, in den Farben sorgfältig abgetönten Mosaik zusammengefügt waren, haben, aus diesem Zusammenhange gerissen, keinen Werth mehr, und derselbe Träumer, der erst nichts Lieblicheres, Heiligeres und Verehrungswürdigeres kannte, als das Frauenbild, vor dem er die stolzen Knie beugte, wendet der in ihrer wahren Gestalt Erkannten mit dem Achselzucken der Verachtung, mit dem bittern Lächeln der Enttäuschung den Rücken und nur das Ehrgefühl des Gentleman hält ihn ab, sie zu einem Gegenstande des Spottes zu machen. Es wäre ganz vergebens, ihn zur Gerechtigkeit gegen die guten Seiten der von ihrem Piedestal Gestürzten aufzufordern, er würde geringschätzig erwidern, einige gute Seiten habe jeder Mensch, mit denen sei er aber nicht zufrieden.

In beiden Stadien ist diesen excentrischen Naturen nicht zu helfen; sie sind im einen Falle blind und taub für die Gebrechen, im andern für die Vorzüge ihres Idols. Dennoch brachte ich es nicht über’s Herz, alle Bedenken zu unterdrücken, die während dieser Erzählung in mir aufgetaucht waren und mit wachsender Hartnäckigkeit sich bei mir einzunisten suchten. Ich erlaubte mir anzudeuten, es sei bei aller Liebenswürdigkeit und Achtbarkeit des Mädchens doch nicht schlechthin unmöglich, es sei wenigstens nicht total undenkbar, daß ihre Vergangenheit – gewiß ohne ihr Verschulden – ohne irgend einen Leichtsinn ihrerseits, höchstens infolge unklugen kindlichen Vertrauens zu gewißenlosen Menschen, irgend einen dunklen Punkt aufzuweisen habe, dessen Wichtigkeit ihr reizbares Ehrgefühl und ihre Liebe sich übertrieben, und daß sie Curt zu sehr liebe, um den Verlust seiner Liebe nicht zu fürchten und dieses gefürchtete Ereigniß nicht so lange als möglich hinauszuschieben.

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Idealisten. , Leipzig 1880, Seite 482. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_41_27.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)