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Nun, da Sie Erzähler sind, so werde ich Ihnen die Vorrechte einer männlichen Marlitt oder Werner nicht streitig machen und bin damit einverstanden, daß Sie uns ihren Schluß erst das nächstemal geben; Sie sollen mich aber nicht bemogeln wollen und nicht falsche Motive vorschieben.“

Der Maler wehrte sich gegen diesen schändlichen Vorwurf, der nur aus der schwarzen Seele eines verschopenhauerten Pessimisten kommen könne, so lebhaft, als hätte er ihn ernst genommen, aber nun sah er sich auch von Wendt angegriffen, der mit großem Aplomb und mit vielem Selbstgefühl begann:

„Meinetwegen also das nächstemal; wenn aber Reinisch meint, daß seine geheimnißvolle siebenbürgische Schönheit eine gar so rare Pflanze, eine gar so unvergleichliche Erscheinung sei, so ist er schief gewickelt. Ich stimme von vornherein dafür, daß jedes Frauenzimmer ein Räthsel ist, sich selbst und andern; ich habe die Erfahrung gemacht, daß das harmloseste Gänschen, über das man im Gefühl männlicher Ueberlegenheit hinwegsieht, im Stande ist, uns moralisch zu nasenstübern, daß uns nur so die Augen übergehen, aber ich habe kürzlich ein Räthsel kennen gelernt, das Ihrer deutsch-polnischen Waldfee allermindestens ebenbürtig und wahrscheinlich eine noch viel härtere Nuß ist. Ich wenigstens beiße noch gar nicht lange an ihr herum und meine Zähne wollen schon stumpf werden; die Backzähne schmerzen sogar empfindlich.“

„Hurrah, Wendt hat wieder eine neue Flamme!“ jubelte Born, während Lindner über die leichte Herzensentzündlichkeit seines rechtsbeflissenen Freundes ein wenig den Kopf schüttelte, wie er ihn über einen Schmetterling oder einen Käfer geschüttelt hätte, den er nicht zu klassifizieren wußte. Arvenberg verzog den Mund zu einem leichten Lächeln und sagte geringschätzig:

„Nun, ich will keine Vermuthungen über die Qualitäten einer Dame anstellen, die vielleicht mehr durch Quantität auf unseren Freund gewirkt hat, aber das glaube ich doch hoffen zu dürfen, daß diese neueste Liaison desselben keinen so tragischen Ausgang nehmen wird, wie nach Reinisch’s Andeutungen die des Herrn Genieoffiziers, der mir allerdings eine ziemlich nervöse Natur zu besitzen scheint; es wäre ja auch Schade um all das üppig blühende Leben, das hier auf dem Spiele steht. Hat man denn auch einige Chance, dieses neue große Räthsel persönlich kennen zu lernen und sich nach seinen schwachen Kräften an der Lösung desselben zu betheiligen? Ich bin gespannt auf die Antwort, die mir gar nicht gleichgiltig ist.“

„O, ich durchschaue die spöttische Absicht,“ parirte Wendt, „aber ich werde durchaus nicht verstimmt, denn ich bin in der Lage, Sie vollständig und glänzend auf’s Haupt zu schlagen. Ich will mich nicht besser machen, als ich bin; von selber würde ich gewiß nicht auf den Einfall kommen, euch Amelpha Tatjana Walujeff vorzustellen, denn sie gehört zu den Frauenzimmern, die nicht ohne eine Art Hofstaat existiren können, deren halb naive, halb dämonische Eitelkeit jeden Mann als ihnen tributpflichtig ansieht und deren man nur hinter den hohen Mauern und vergitterten Fenstern eines Harems nothdürftig sicher ist. Ich brauchte also von eurer persönlichen Liebeswürdigkeit und Gefährlichkeit nicht die hohe Meinung zu haben, die ich in Wirklichkeit hege, um euch meine schöne blauäugige aschblonde Russin instinktiv möglichst aus den Zähnen zu rücken, und wenn ich euch dennoch ihr zuführe, so begehe ich damit ganz einfach bewußt einen Selbstmord. Aber um mein Wollen handelt es sich gar nicht; Fräulein Walujeff hat, sehr wider meine Absicht, das Kabinettsporträt zu sehen bekommen, das uns darstellt, sie ist neugierig geworden und sie hat mir bei Strafe ihrer Ungnade befohlen, euch zu ihr zu bringen; das wie sei meine Sache. Jetzt müßt ihr mir also schon den Gefallen thun, an einem der nächsten Abende mit zu ihr zu gehen, denn so aussichtslos meine Bewerbungen um sie auch sind und so deutlich ich auch das Gefühl habe, planmäßig an der Nase herumgeführt zu werden, ich möchte doch vor der Hand noch nicht auf alles verzichten. Es würde mir im Augenblick noch zu weh thun; später hilft mir vielleicht ein Interesse für eine andere über den nothwendigen Bruch weg.“

Man lachte über dieses Stück praktischer Lebensweisheit und über den Ton melancholischer Resignation, den Wendt angeschlagen hatte, und von allen Seiten wurde die Zusage ertheilt. Der Maler that es mit gleichgiltigem Kopfnicken; er pflegte überall hin zu gehen und hielt es für die erste Pflicht des Alters, der Jugend keinen Spaß zu verderben, um so mehr, als bei diesem Spaß gewöhnlich auch etwas für das Alter herauszuspringen pflege. Lindner sagte trocken: „Meinetwegen! Ist die Dame vielleicht aus Südrußland, aus der Krim z. B.?“ und sah dabei so zerstreut aus, als überlege er, ob sich vermittelst dieser neuen Bekanntschaft nicht vielleicht Schmetterlingstauschgeschäfte mit einem Sammler in der Heimat der Schönen machen ließen. Arvenberg lächelte und reichte Wendt über den Tisch die Hand. „Ich komme und zwar mit dem festen Vorsatz, hinreißend liebenswürdig zu sein und Ihre schöne Russin so vollständig für mich einzunehmen, daß Sie vor Eifersucht abwechselnd roth und blaß und schließlich gelb und grün werden. Auf ehrliche Feindschaft also!“

Wendt schlug lachend ein. „Sehen Sie Arvenberg, Sie fürchte ich am allerwenigsten, weil es bei Ihnen am ernsten Willen fehlt. Sie werden sich eine Weile mit ihr herumbeißen, dann wird Ihnen die Geschichte langweilig und sie springen ab. Sie sind überdies viel zu ironisch und satirisch, um bei einer Frau, wie es meine Russin ist, das Herz rebellisch zu machen.“

„Somit bliebe also nur ich übrig?“ fragte Born. „Nun, ich werde Ihnen keinen Schaden thun, schon aus Freundschaft nicht. Ich bin nicht so boshaft wie Arvenberg, und ich werde die Dame höchstens um russische Volkslieder bitten.“

„Nichts versprechen, Born!“ mahnte Wendt. „Sie haben die Walujeff noch nicht gesehen und ich weiß, daß Sie, wie Lindner, und Reinisch erst recht, große Augen machen werden, wenn Sie ihr gegenüberstehen. Erschöpft euch also nicht in Muthmaßungen, laßt euch lieber sagen, daß sie mit ihrer Mutter und einem Bruder nach Deutschland gekommen ist, daß die Leute sehr reich sind und ein sehr feines Haus machen und daß Tatjana Herr im Hause ist und unumschränkt regiert. Ihr braucht, wenn ihr am Montag kommen wollt – halb neun ist Theestunde – nicht Gesellschaftstoilette zu machen, doch dürfte sich eine gewisse Sorgfalt in Kleinigkeiten empfehlen, damit ihr nicht hinterdrein in Verlegenheit kommt und mir vorwerft, euch nicht hinreichend informiert zu haben.“

Reinisch rief dazwischen: „Es scheint wahrhaftig, wir werden bei einer Fürstin aufgeführt, in deren Augen eine schiefsitzende Kravatte ein Majestätsverbrechen und ein blinder Stiefel eine persönliche Beleidigung ist. Nun, ich hoffe, ihr laßt euch durch diese Wendt’schen Aengstlichkeiten nicht verblüffen und ich bekomme nicht etwa Lackstiefeletten, gebranntes Haar und bordeauxrothe oder gendarmenblaue Kravatten zu sehen. Es ist ohnedies eine starke Zumutung von Wendt, Leute von Geist moralisch zu zwingen, für eine Tasse Thee irgend einer mehr oder weniger emanzipirten Russin – man kennt ja die Sorte! – einen Abend lang die Zeit zu vertreiben –“

„O, mein lieber Reinisch,“ unterbrach Wendt, „in dünnem Thee und magern Butterschnitten erschöpft sich nur die Berliner Gastfreundschaft, und es steht Ihnen, wenn Sie eine exzellente Tasse Thee verachten, auch die ‚Milch der Greise‘ aus Burgund zu Diensten, und wenn Sie zu Chartreuse und Benediktiner übergehen wollen, so brauchen Sie mir nur einen Wink zu geben – man wird Sie nicht schmachten lassen.“

„Thut er nicht gerade, als habe er sich die Schöne bereits gekapert und könne in ihrem Hause befehlen?“ lachte der Maler. „Was geben Sie übrigens zum Besten, Wendt, wenn uns Ihre Russin kalt läßt und wenn wir durch Akklamation beschließen, daß wir sie Ihnen neidlos gönnen? Ich halte das nämlich für den wahrscheinlicheren Fall und bin noch keineswegs überzeugt, daß wir eine interessante Bekanntschaft machen; hoffentlich ist der Laffitte gut, damit der Abend nicht ganz verloren ist.“

Wendt ließ sich jedoch nicht werfen. „Ich brauche die Wette, daß sie der erste sind, in hellen Künstlerenthusiasmus zu gerathen, nicht zu scheuen, und ich mache mich anheischig, sechs Flaschen alten Markobrunner, d. h. also mein ganzes Weinlager, springen zu lassen, wenn ihr nicht ganz und gar weg seid. Die sechs Flaschen, die mir mein Onkel verehrte, als ich mein Examen summa cum laude bestanden hatte – er hätte mir das, unter uns gesagt, nie zugetraut – waren bestimmt, zur Feier meiner Verlobung mit irgend einem Ausbund weiblicher Anmuth und Tugend getrunken zu werden; aber sie sollen euch verfallen sein, wenn ich zu viel versprochen habe. Ich bin überzeugt, sie werden doch erst an dem Tage getrunken, an dem ich den verhängnißvollen Schritt gethan habe; wenn es noch viele Mädchen wie die Walujeff gibt, verlobe ich mich allerdings wahrscheinlich nie und dann müßt ihr den Markobrunner schlürfen, nachdem ihr mich begraben, das heißt also hoffentlich – verbrannt habt.“

„Wie lange wird Wendt brennen müssen, bis er Asche ist?“ fragte Arvenberg ironisch, Lindner ansehend.

„Doch ziemlich lange; viel Fleisch, viel Fett, starke Knochen – es sei denn, unser Freund wäre vorher durch Liebeskummer auf die Körperverhältnisse des Ritters Toggenburg herabgemindert.“

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Idealisten. , Leipzig 1880, Seite 494. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_42_29.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)