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Ich bleibe dann als rocher de bronce in der Brandung stehen und wenn alles vorbei ist und eure Russin heimische Bären und Wölfe zähmt, statt deutscher – Murmelthiere, werde ich mir erlauben, euch den heutigen Abend ins Gedächtniß zurückzurufen und euch zu fragen, ob die Rolle des getreuen Eckardt nicht eine äußerst undankbare ist.“

„Laßt, Freunde, genug sein des grausamen Spiels,“ deklamierte Wendt; „Reinisch ist ja heute rein des Teufels und ich glaube, wir müssen ihm den Giftzahn ausbrechen. Arme, schöne, muntere Tatjana – du eine Sirene, eine Circe, eine Lorelei, die alle Männer schmeichelnd an sich lockt, um sie dann mit kühlem Lächeln, wie erstaunt über ihre unbegreifliche Vermessenheit, in ihr armseliges Nichts zurückzuschleudern! So schlimm, wie er’s macht, ist’s wahrscheinlich nicht; auch für sie wird noch der Rechte kommen und den beneide ich dann von Herzensgrund! Sie verdiente, eine Königin zu sein und den Hermelin um ihre weißen Schultern zu legen und muß sich von einem Schönheitsverständigen so lästern lassen! Aber sagen Sie, Reinisch, war Ihre mysteriöse Siebenbürgerin nur halb so schön, wie die Walujeff?“

„Ebenso schön, nur anders, ganz anders! Und das nächste mal – bei Lindner, nicht wahr? – werdet ihr hören, daß sie auch sonst ganz anders war und daß ich vielleicht nur deswegen so bitter gegen diese Walujeff bin, weil sie mich auf dem Wege des Kontrastes unausgesetzt an die arme Leontine erinnerte, so daß ich zuletzt meinte, sie mit ihren ernsthaften Augen mir gegenüber sitzen zu sehen.“

Damit trennte man sich, und von den in mehr oder minder nachdenklicher und erregter Stimmung der Junggesellenwohnung Zuschreitenden war wohl nur Reinisch im Stande, sich ein ungefähres Bild von dem Nachspiel zu machen, welches der Abend im Theezimmer der russischen Familie hatte; und doch wäre es für alle von Werth gewesen, mit anhören zu können, welchen Eindruck sie ihrerseits hinterlassen hatten.

Als Tatjana nach der Verabschiedung von ihren neuen Bekannten ins Zimmer zurückgekehrt war, zündete sie sich eine neue Cigarette an, warf sich in den Schaukelstuhl, legte den schönen, stolzen Kopf mit der Stirn, welche durch die Maria-Stuart-Schneppe nur noch mehr hervortrat, lässig zurück und schloß behaglich die Augen. Sie beachtete es kaum, daß ihre Mutter ihr ziemlich gleichgiltig Gutenacht wünschte und sich zurückzog; die unbedeutende und wenig angenehme alte Frau war ja nur eine Statistin in der Komödie, die sie ihren Besuchern vorspielte, und nun mochte sie gehen. Auch den Bruder hatte sie halb und halb zum Statisten abgerichtet, aber er war ein zu feiner Kopf und ein zu guter Beobachter, um das Spiel der Schwester nicht zu durchschauen und dies durch sarkastische Randglossen wenigstens anzudeuten.

So fragte er auch jetzt, nachdem er ihr aus seiner Divanecke eine Weile zugesehen, ziemlich spöttisch:

„Sage mir doch, schöne Schwester, wird es dir denn nie langweilig, immer wieder die alten Mittel anzuwenden, und die lange Liste deiner – Verehrer noch um einige Namen zu verlängern? Ich sollte denken, du müßtest des Spiels einmal müde werden?“

„Warum? es ist noch das einzige, was mir Vergnügen macht, und wenn es einmal nicht mehr geht, dann könnt ihr mich nur begraben.“

Chacun à son goût, aber was kann dir an den vier deutschen Träumern gelegen sein, die doch so gar nichts Pikantes haben?“

„Oho! – der deutsche Träumer ist eine neue Spezies für mich; vielleicht benehmen sich diese Deutschen, wenn sie verliebt sind, doch etwas anders, als unsere Russen und Polen, als die galanten windigen Franzosen, die steifen, bockbeinigen Engländer und Italiener mit den ewigen gelben Gesichtern und kohlschwarzen Augen und Bärten. Man kann es doch wenigstens auf den Versuch ankommen lassen.“

„Und hat dir einer von ihnen besonders gut gefallen?“

„Das könnte ich nicht behaupten. Der Herr Born scheint einen eisernen Ladestock verschluckt zu haben, aber er ist ein Dichter, und Deutscher und Dichter zugleich, das muß originell sein. Der Herr Lindner interessiert mich durch seine Schüchternheit, die bei einem Manne in seinem Alter ganz unerhört ist – er ist ja soweit ganz nett und dürfte schon etwas Selbstgefühl besitzen. Sein vielbeiniges geflügeltes Ungeziefer ist mir freilich zuwider, aber nehme ich die born’schen Tragödien hin, warum nicht auch diese abgeschmackte Liebhaberei? Ueberdies, mein neugieriger Herr Bruder, soll er in ein kleines deutsches Mädchen verliebt sein, das Strümpfe stopft und unmenschlich viel Gefühl besitzt, wie jede Deutsche; es wird mich amüsieren, ihm den Kopf zu verdrehen und ihn in einem schweren Konflikt der Pflichten zu stürzen – diese Deutschen nehmen ja alles gleich tragisch; zum Schluß bin ich dann doch noch die Großmüthige, die ihn der Kleinen wieder zuführt; wer weiß, vielleicht halte ich ihm sogar eine ganz erbauliche Predigt über die Treue, die der Bräutigam seiner Braut schuldet – Du weißt ja, ich kann auch das, wenns sein muß. Der Herr Arvenberg ist ein schöner Kerl, mit wahren Spitzbubenaugen, und dann soll er ja ein Anhänger irgend eines albernen Philosophen sein, der uns Frauen so schlecht macht, daß eigentlich kein Hund ein Stück Brot von uns nehmen dürfte, warum soll ich nicht einen gewissen Reiz darin finden, ihm so nebenher zu beweisen, daß es mit dieser Philosophie auch nichts ist und daß ein Frauenlächeln hinreicht, das ganze schöne System in die Luft zu sprengen? Du siehst also, mein lieber Bruder, daß die jungen Leute keineswegs so indifferent für mich sind, als sie dir erscheinen mögen und ich werde mich sogar mit deiner Erlaubniß in der nächsten Zeit ziemlich viel mit ihnen beschäftigen.“

„Mir scheint, es sind noch zwei übrig, der Maler und der Herr Wendt.“

Tatjanas feine Brauen zogen sich zusammen und die Antwort klang übellaunig, spitz und ungnädig und erst im Nachsatz wieder übermüthig.

„Der Maler ist ein ungehobelter und impertinenter Mensch, der nicht mitzählt, den ich zu ignorieren gedenke, und der gute, dicke Wendt ist mein Pudel, dem ich heute das Fell kraule, und den ich morgen mit Fußtritten regaliere; er macht im ersten Falle so komisch-glückselige Augen und wagt im zweiten nicht zu knurren, und trotz aller meiner Launen läuft er mir getreulich wieder nach. Solche Verehrer sind werthvoll und zu mancherlei zu gebrauchen; man gestattet ihnen nicht, keck zu werden, aber man hält sie an einem feinen Fädchen fest, damit sie nicht durchgehen, und macht ihre etwaigen Emanzipationsgelüste durch eine kleine Gunst zunichte, wie man ein Kartenhaus über den Haufen bläst. Im übrigen bin ich müde – felice notte, Fomuschka.“

Das Zimmer, in welchem der kleine Freundeskreis sich am darauffolgenden Freitag versammelte, durfte originell genannt werden, war aber ganz geeignet, einer stilgerechten deutschen Hausfrau, deren Wahlspruch lautet: „Ordnung über alles!“ und der man die Säuberung eines Bücherbrets nicht übertragen kann, weil sie die Bücher, die nach Fächern geordnet sind, unfehlbar nach der Größe aufstellen wird, ein gelindes Grauen einzuflößen, so hoffnungslos war die „malerische“ Unordnung dieses Naturforscherheims. Von der Decke schwebte ein ausgestopfter Bussard herab, ein kleines Wasserhuhn in den Fängen, eine glotzäugige Eule, die von Lindner jahrelang zärtlich mit Mäusen gefüttert und nach ihrem Tode eigenhändig ausgestopft worden war, hatte auf der einen Seite einen wohlerhaltenen Schädel, der aus der leipziger Schlacht stammte, und in der Schläfengegend von einer Musketenkugel durchlöchert war, auf der andern ein großes Einmacheglas, in welchem eine schöne Kreuzotter in Spiritus dem Schicksal der Verwesung Trotz bot. An allen Wänden Kästen mit Käfern und Schmetterlingen, auf Tischen und Stühlen Retorten und andere chemische Apparate, Sopha und Chaiselongue bedeckt mit Büchern und Journalen und das ganze Zimmer erfüllt von einem feinen, aber scharfen Geruch von Säuren und Chemikalien, an den man sich erst gewöhnen mußte. Aber auch lebende Bewohner zählte das ziemlich große Zimmer in mehr als ausreichender Anzahl; sorglich verhängte Vogelkäfige an der Wand ließen auf eine Garnison von geflügelten Sängern schließen, und wer sich näher umsah, entdeckte in einem alten, breitkrämpigen Schlapphute ein Lachtaubenpaar, welches dieses Heim höchst komfortabel zu finden schien und in einem paar hochbetagten Filzschuhen zwei Meerschweinchen, die den Schlaf des Gerechten schlummerten.

Lindner, dessen Schlafrock auf ein ehrwürdiges Alter Anspruch erhob und von seinem Herrn mit vieler Pietät betrachtet wurde, obgleich er an den Ellenbogen völlig durchgescheuert war, bemühte sich mit mehr Hast und Energie, als Umsicht, wenigstens Sopha und Chaiselongue nothdürftig von den gröbsten Folianten zu säubern, als Arvenberg, Wendt und Born zugleich ins Zimmer polterten. Es war ein alter, aber immer wieder Anklang findender Scherz Wendts, die Bücher, welche Lindner glücklich einstweilen

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Rudolf Lavant: Idealisten. , Leipzig 1880, Seite 518. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_44_35.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)