Seite:Idealisten 47 43.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Curt schien nicht sonderlich erbaut von dem leichten Ton, den meine Verlegenheit und innere Unsicherheit anschlug. Aber er hielt sich streng an die Sache und erwiderte wegwerfend:

„Alles und nichts! Soziale Rangunterschiede – meinen lumpigen Adel – meine militärische Karrière – die naiven Pläne des Onkels, von denen ich ihr einmal in hellem Uebermuth erzählte – und damit ich’s nicht vergesse – eine Differenz des Alters zu ihren Ungunsten!“

„Nun, so gar gleichgültige Umstände sind das wohl nicht, und ist’s Ihnen nicht lieb und macht es dem Mädchen nicht Ehre, daß sie gewissenhaft ist und an die Zukunft denkt? Uebrigens – ist sie denn älter als Sie? Das hätte ich mir allerdings nicht träumen lassen – es verwelkt eben doch viel Jugendblüthe und Farbenfrische in unsern heißen Ballsälen und in denen scheint Leontine ein seltner Gast gewesen zu sein.“

„Eine Lumperei – drei, vier Jahre – was weiß ich? Gerade dieser Punkt ist mir so gleichgültig, daß mich’s wurmt, denken zu sollen, Leontine lege ihm Gewicht bei. Sie denkt in so vielem anders – stolzer, edler, größer – als das gewöhnliche Frauenvolk, und nun scheint es doch, daß sie mit einer alltäglichen Auffassung der Schwäche ihres Geschlechts Tribut zahlt. Aber lassen wir’s gut sein; es freut mich ja trotz alledem, daß Sie Sich mit Ueberzeugung zu einer hohen Meinung von der bekennen, die zum Mittelpunkt meines Lebens geworden ist, und ich will versuchen, mich zu ihrem Glauben an die Macht meiner Liebe, zu Ihrem Hoffen auf die Zukunft zu bekehren. Es liegt alles so nebelgrau und oft sogar nachtschwarz vor mir, daß ich den tröstlichen Schimmer eines ganz kleinen Sternchens recht nöthig brauchen kann.“

Er reichte mir über den Tisch die Hand und ich drückte dieselbe in seltsamer Bewegung – es war mir ja gar nicht wohl bei alledem und wenn ich Curt auch genug kannte, um zu wissen, daß er sich durch alle Hindernisse freie Bahn hauen würde – Stürme und Kämpfe gab es im besten Falle in Hülle und Fülle. Es war mit leid um ihn – leid um das schöne Geschöpf, und ich hätte gewünscht, ihnen helfen zu können. Wenn man sich unter den Menschen und im Leben aufmerksam umgeschaut hat, wird man mißtrauisch, sobald von Liebe die Rede ist, und könnte man alle die wohlanständigen, vorschriftsmäßigen Verlöbnisse und Brautstände auf ihre wahren Motive, auf die innerste Herzensmeinung der Betheiligten und somit auf ihren wirklich sittlichen und ethischen Werth zurückführen – ich glaube, man würde erschrecken.

Hier stand ich nun einer echten, ehrlichen Liebe, dem reinen, unverfälschten Walten eines Naturgesetzes gegenüber, das mich rührte und beinahe ehrfürchtig stimmte – aber wie düster und bang lag die Zukunft vor den beiden Menschen!

Wir sprachen an jenem Abend nicht weiter über diese Herzensfrage und dann blieb die lange, lange Woche gänzlich unberührt. Ich sah meine schöne Hausgenossin nach wie vor Tag für Tag am Fenster, Curt veranstaltete aber nie wieder eine Begegnung mit ihr und ich mochte begreiflicherweise eine solche nicht anregen – derartige Vertrauensbeweise müssen freiwillig sein. Curt erwähnte überhaupt Leontine mit keiner Silbe; zuweilen war mir’s als schwebe ihm ein Wort der vertraulichen Mittheilung auf der Zunge, aber er schluckte es immer wieder hinunter und schien überhaupt mit jeder verrinnenden Woche verschlossener und wortkarger zu werden. Unablässig mit einem bohrenden, hartnäckigen Gedanken beschäftigt, kam er mir fast immer zerstreut, dann wieder abgemattet bis zur Apathie vor. Zuweilen machte sich auch eine ungewohnte Reizbarkeit und Ungeduld geltend, eine aufbrausende Heftigkeit, eine wilde Erbitterung, die sich bei dem geringfügigsten Anlaß Luft machte; seine humoristische Ader schien zu einer sarkastischen geworden zu sein, die fast überreichlich floß, sodaß er zuweilen grausam erscheinen konnte. Dann war er wieder ein paar Tage lieb und gut wie nie, als wolle er jedem, den er verwundet, indirekt Abbitte thun, und eine eigenthümliche Weichheit machte ihn rührend, liebenswürdig, wie ein krankes Kind. Und krank, ernstlich krank war er unfehlbar; er verlor die Frische und Elastizität; sein Gesicht wurde bleicher und schmaler, das feine blaue Geäder an den Schläfen trat stärker hervor, der Blick der großen Augen war oft matt und glanzlos und seine Sprache selbst bekam etwas Träges und Schleppendes, etwas Mühsames und Eintöniges. Es fehlte dazwischen hinein nicht an Tagen, an denen er wirklich heiter und aufgeräumt sein konnte und ganz der alte war, aber diese Tage wurden seltner und immer seltner. Er blieb dabei der pflichttreue, gewissenhafte Soldat, der strebsame, lernbegierige junge Mann, der ein gutes Buch jeder andern Gesellschaft vorzieht, aber es war doch nicht der rechte Trieb dahinter und das Erreichte wollte ihm keine Freude mehr machen. Die Art seines Interesses an all den Fragen, mit denen er sich früher beschäftigt

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Idealisten. , Leipzig 1880, Seite 553. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_47_43.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)