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die anderen Welten. Wir müssen also die betreffende Welt als ruhend betrachten. Alle Welten sind untereinander gleichwertig“. Daraus folgt umgekehrt, daß auf allen obigen Welten alle physikalischen Erscheinungen nach denselben Gesetzen verlaufen müssen. Denn wäre dies nicht der Fall, würde z. B. irgend eine physikalische Erscheinung auf einer der Welten nach einem besonderen Gesetz verlaufen, so würde diese Welt eine Sonderstellung einnehmen, was dem Relativitätsprinzip widerspricht.

Worin liegt aber denn eigentlich die Bedeutung dieses Prinzipes? Diese tritt aus folgender Überlegung hervor. Die obigen Welten, die wir nur zur klareren Darstellung herangezogen haben, brauchen tatsächlich garnicht zu existieren. Es genügt schon vollkommen, daß wir selbst durch kein Experiment unsere Translationsbewegung feststellen können. Und dies ist wirklich der Fall. Nun lassen sich, wie wir weiter sehen werden, auf Grund des Relativitätsprinzips die Beziehungen ableiten, die zwischen den Koordinaten und der Zeit unserer Welt und den Koordinaten und der Zeit einer anderen (ob gedachten oder wirklichen, ist einerlei) Welt oder Bezugssystems, das sich uns gegenüber in einer konstanten translatorischen Bewegumg befindet, bestehen. Sind diese Beziehungen einmal festgelegt, so können wir ein beliebiges physikalisches Gesetz in ein solches, welches jenem anderen Bezugssystem entspricht, transformieren. Bei dieser Tranformation erhalten wir einen neuen mathematischen Ausdruck für das Gesetz, aber wegen des Relativitätsprinzips muß seine Form erhalten bleiben. Wird dies nicht der Fall sein, so müssen wir hieraus schließen, daß das Gesetz selbst falsch ist. Das Gesetz muß eben eine solche Form haben, daß es diese bei der obigen Transformation nicht ändert. Das Relativitätsprnzip‚ solange wir seine Gültigkeit anerkennen, dient für uns, so zu sagen, als Kontrollinstanz bei der Aufstellung der mathematischen Form eines physikalischen Gesetzes. Zugleich muß aber hinzugefügt werden, was eigentlich infolge der obigen Erörterungen als selbstverständlich erscheint, daß das Relativitätsprinzip nicht im stande ist, uns irgend ein neues Gesetz aufzudecken. Dies kann einzig und allein das Experiment leisten. Denn angenommen, eine und dieselbe physikalische Erscheinung würde genügend genau durch zwei verschiedene mathematische Ausdrücke, die beide dem Relativitätsprinzip genügen, d. h. bei der Transformation von der einen Welt auf die andere ihre Form beibehalten, dargestellt werden können, dann kann das Relativitätsprinzip nicht entscheiden, welches Gesetz das richtige ist. Nur durch das Experiment, nur durch verfeinerte Meßmethoden können wir zum richtigen Gesetz gelangen. Das Relativitätsprinzip nimmt in der Physik


Empfohlene Zitierweise:
Wladimir Sergejewitsch Ignatowski: Das Relativitätsprinzip (Ignatowski). Archiv der Mathematik und Physik, Leipzig 1911, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:IgnatowskiRelativ.djvu/3&oldid=- (Version vom 15.9.2022)