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Illustrirte Zeitung, Nr. 2 vom 8. Juli 1843

Karl VI., 5. Act, letzte Scene

Karl der Sechste,
Oper in fünf Aufzügen.
Text von Casimir und Germain Delavigne, Musik von F. Halévy, Divertissements von Mayilier, Decorationen von Ciceri, Philastre, Cambon, Sechan und Desplechin.

Die französischen Operncomponisten haben in jüngster Zeit manches Misgeschick gehabt, indem sie entweder an sich oder am Texte erlahmt sind.

F. Halévy.

Casimir Delavigne.

Begierig greifen die deutschen Bühnen nach diesen neuen flitter- und flatterhaft glänzenden Erscheinungen, aber selbst die Deutschen haben die letzten Opern von Adam, Auber und Halévy nicht mit dem andauernden Beifall aufgenommen, wie ihre früheren. Möglich, daß dieser Fall immer bei Componisten eintreten muß, die mehr nach pikanten Effekten haschen, als die nachhaltige Wirkung des klassischen Geschmacks erstreben. Selbst die neuern Operntexte, worin die Franzosen im Allgemeinen so ausgezeichnet sind, kommen an Interesse den früheren nicht gleich. Dies muß man auch von der Oper Karl VI. sagen, von der man so große Dinge erwartete. Eine fünfaktige Oper! Ja, man läßt sich fünf Akte gefallen, wenn der Text von so steigendem Interesse, wie der zur Stummen von Portici und die Musik von so hinreißender Gewalt ist, wie die zur letztgenannten Oper. An wen haben die Herren Delavigne wol gedacht, als sie ihren Text zu fünf Akten ausdehnten? Gewiß an die pariser Banquiers, Seidenfabrikanten, Strumpfwirker und Gewürzkrämer, welche Muße haben, für ihr Eintrittsgeld möglichst viel sehen wollen und die Quantität der Qualität vorziehen. Doch blicken wir dieser Oper näher ins Auge! Die Hauptperson ist, wie auch der Titel anzeigt, Karl VI., dieser so unglückliche König des unter ihm so unglücklichen Frankreichs. Die Engländer herrschen zu Paris und in einem großen Theile des Reiches; der Herzog von Bedfort commandirt die französische Armee, gebietet im Namen Heinrich’s VI., und nur wenige Franzosen haben noch Muth, zu hoffen. Einer von ihnen ist der alte Raymond, der einen Meierhof bewohnt, früher Soldat war und lieber spricht, als handelt. Ja, er singt sogar, und der Schluß eines seiner Lieder lautet:

Und schlägt die Stunde der Befreiung,
Stimmt Alles in den Schlachtruf ein:
Krieg den Tyrannen! denn in Frankreich
Soll nie der Britte Herrscher sein!

Seine Tochter Odette, die ihn oft ermuthigt, zu handeln statt zu raisonniren, liebt einen Unbekannten, der oft um den Meierhof herumstreicht, ihr seine Liebe gestanden, ja sogar von Heirath gesprochen hat. Letzteres ist merkwürdig genug, da wir später erfahren, dieser Unbekannte sei kein Anderer, als der Dauphin, der spätere Karl VII. Odette wird in die Nähe des Königs gerufen, und jetzt singt Karl von der Ehrfurcht, in die sich seine Liebe verwandelt

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: Illustrirte Zeitung, Nr. 2 vom 8. Juli 1843. J. J. Weber, Leipzig 1843, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Illustrirte_Zeitung_1843_02.pdf/12&oldid=- (Version vom 21.5.2018)