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Illustrirte Zeitung, Nr. 5 vom 29. Juli 1843

Nr. 5.] Illustrirte Zeitung. [73.

Leipzig, den 29. Juli 1843.

Ein Reisemärchen.
Sechstes Capitel.
Eine von des Majors langen Geschichten.

Du denkst vielleicht auch, geliebter Leser, indem Du das vorhergehende Capitel schließest: „Wollen denn diese Herzensergießungen, die höchstens einen Verliebten interessieren können, gar kein Ende nehmen? Da wären mir denn doch des alten Majors alte Geschichten, die zwar Franz zum hundertsten Mal, ich aber wahrscheinlich noch gar nicht gehört habe, weit angenehmer.“

Mir scheint, Du hast Recht. Liebende zu sehen, ist allerdings ein Schauspiel für Götter, für Sterbliche aber auf die Dauer zuweilen etwas langweilig. So darf ich denn hoffen, es werde Dir nicht mißfallen, wenn ich Franzens Tagebuch auf eine Weile abbreche und Dir eine von des Majors besagten Geschichten mittheile, wie der gute alte Herr sie im traulichen Kreise am Theetische zu erzählen pflegt, besonders wenn ihn sein Liebling Maria dazu auffordert.

Folgende wahrhafte Historie nun erzählte der alte Herr von Horn an einem Winterabende.

Der Pezhutah Wechaschtah.

Ich war unserem Regimentsarzte auf Java besonders zugethan; er war ein Deutscher, wie ich, hatte als Student eines unglücklichen Duells wegen flüchten müssen und war nach Nordamerika gegangen, um als Arzt ein Unterkommen zu finden. Hier übten aber – nach der Freiheit, welche die amerikanischen Gesetze gewähren, die die medicinische Praxis wie jedes andere Geschäft ansehen, das in einem Freistaate Jeglicher das Recht habe, zu treiben, – so viele Unwissende die ärztliche Wissenschaft aus, daß ihm, dem wirklich Wissenden, nur eine kärgliche Aehrenlese blieb. Er brach daher die angeknüpften Verbindungen in New-York ab und begab sich, theils weil er dort nicht so viele Quacksalber zu finden glaubte, theils aber auch, weil er jung und thatenlustig war, nach jenen Regionen der Vereinigten Staaten, wo die letzten eingebornen Stämme noch ziemlich ungestört ihr Wesen trieben. An Gefahren und Begebenheiten fehlte es ihm nun freilich nicht, aber er wurde auch nicht reicher und kehrte endlich wieder nach New-York zurück, wo ihm durch ein befreundetes Handelshaus der Antrag ward, Arzt auf einem Kauffahrteischiffe zu werden. So kam er nach Batavia, blieb dort, ward bei unserem Regimente angestellt, leistete treffliche Dienste und erwarb sich bald Aller Liebe, denn er war nicht blos ein ausgezeichneter Arzt, sondern auch ein Meister im Erzählen, und daher den wachhabenden Offizieren stets ein sehr willkommener Gesellschafter.

Als wir ihn einst damit neckten, daß die Priester der Heilkunde in Amerika nicht eben in sonderlichem Ansehn stehen könnten, behauptete er dagegen, sie genössen in manchen Regionen der neuen Welt sogar göttliche Verehrung, und erzählte uns nun eine sehr sonderbare Historie, die er einem alten Trapper verdankte, der viel in Berührung mit den Urstämmen Nordamerika’s gekommen. Ich gebe sie Euch, meine Lieben, fast ganz mit seinen eignen Worten wieder. Denn er trug dieselbe so lebhaft und anschaulich vor, daß sie sich meinem Gedächtnisse unauslöschlich einprägte, auch habe ich sie wohl zwanzig Mal von ihm gehört, und jedesmal mit demselben Interesse.

Die Sonne – so begann er – sandte ihre mittäglichen Strahlen über die weite Prairie, auf der weder ein Baum, noch ein Strauch, ja nicht einmal ein Grashalm zu sehn war. Tiefer Schnee, nur hier und da durch einen dunklen Klumpen unterbrochen, in welchem das Auge vor dem blendenden Schein nicht zu erkennen vermochte, daß es ein Büffel sei, deckte die Ebene wie ein Ocean von Glanz. Weder Fels, noch Wald und Schlucht gewährten dem Blicke einen Ruhepunkt, und doch übte das Ganze durch seine schauerliche Oede einen mächtigen Eindruck. So öde die Gegend indessen war, sie hatte dennoch ihre Bewohner. Liebe und Haß, Neid und Ehrgeiz weilten selbst in dieser freudlosen Wüste. In dem dort aufgeschlagenen Lager von ledernen Zelten regte sich ein eben so kühnes Herz, ein eben so übermüthiger Stolz und ein nicht minder scharfer und feiner Verstand, wie sie bei Napoleon und Mahomet gefunden wurden und nöthig waren, um diesen die Herrschaft über Millionen zu verleihen.

Hundert kegelförmiger lederner Zelte hatten ihre Bewohner herausgelassen, denn die Luft war still und warm, obwohl der Januar noch nicht mehr als die Hälfte seiner Tage zählte. Aber die Zelte waren weder zusammengeschlagen, noch die Hunde aufgezäumt. Die Pferde scharrten ungestört im Schnee, um sich Futter zu suchen. Demungeachtet herrschte große Verwirrung. Kinder schrieen, Frauen schalten, Hunde heulten und Männer sprachen in Tönen, welche verkündeten, daß sie ein Unrecht erlitten hatten, und daß der Beleidiger außer ihrem Bereich sei. Aber der Ausdruck aller dieser kriegerischen Gesichter redete deutlich von nur verschobener Rache.

Binnen wenigen Minuten hatten die Weiber den Schnee von einer großen kreisförmigen Stelle weggeschafft, und ein kleines Feuer in der Mitte angezündet. Die Pfeife ging von Mund zu Mund, und die schwarzbraunen Krieger verhandelten über zwei wichtige Fragen: Wer die Hälfte der dem Lager gehörigen Pferde während der Nacht gestohlen habe, und was man hinsichtlich der Diebe thun wolle.

Die ausgesandten Späher erklärten, der Schnee sei während der Nacht so dicht gefallen, daß es ihnen unmöglich gewesen, auch nur die mindeste Spur aufzufinden. Schon war die Versammlung im Begriff auseinanderzugehen, ungewiß, ob sie die Pawnies, die Tschippewäer oder die Assinneboins des Raubes anklagen solle, aber entschlossen, jeden dieser Stämme auf blutige Weise zur Rechenschaft zu ziehen: da kam ein neuer Späher und bat um Gehör. Der Inhalt seines Berichtes erregte nicht geringes Erstaunen. Er war weiter geeilt, als die Uebrigen und bis zu einem Platze gekommen, wo die Diebe Halt gemacht. Unter den Bäumen hatte er einige von ihren Fußstapfen entdeckt und sich überzeugt, daß es weiße Männer gewesen seien. Als Bestätigung seiner Aussage zeigte er ein von ihnen dort zurückgelassenes Beil vor mit einem geschnitzten Stiel und von ganz anderer Form, als diejenigen, deren sich die Indianer zu bedienen pflegten. Seine Zuhörer waren vor Ueberraschung außer sich. Ein weißer Mann ein Pferd stehlen! Sie, die den Pferdediebstahl, dies lobenswerthe Geschäft, immer für eine Sünde ausgegeben hatten, waren nun endlich auch zur Erkenntniß gekommen, und es schien die höchste Zeit, etwas dagegen zu thun, sonst würden sie bald eben so weit sein, als die Dahcotahs – so hieß diese Horde – selbst. Und dann – daß die wenigen Einwohner des kleinen Dorfes Pembina, die sie eben so leicht vernichten konnten, wie ein Knabe ein Ei zerdrückt, es wagen sollten, Feindseligkeiten zu unternehmen, oder mit ihnen auf eine andere Weise Krieg zu führen, als durch Lug und Betrug! – Wer hatte je so etwas gehört?!

Ein wildblickender Krieger sprang augenblicklich auf und schlug vor, daß alle streitbaren Männer des Lagers sogleich nach Pembina ziehen, das Dorf verbrennen und dessen Bewohner tödten und skalpiren sollten. Obwohl er sehr ausführlich darthat, daß das höchst ehrenvoll und zu gleicher Zeit sehr einträglich sein würde, so erforderte es doch reifliche Ueberlegung. Der Schnee lag zu hoch, die Zufuhr von Büffelfleisch war außergewöhnlich ungewiß und außerdem der Angriff eines Forts mit Kanonen, obgleich dies Fort nur ein Pfahlwerk, nicht ohne Gefahr. Obendrein könnte es dem Handel schaden und vielleicht würden dann einige Hundert von den halbbürtigen Jägern auf die Seite der Weißen treten. Die Stimmen waren getheilt, und man machte daher den Vorschlag, zu dem Pezhutah Wechaschtah oder Arznei-Mann zu schicken.

Ich muß hier anführen – pflegte der Doctor bei dieser Stelle seiner Erzählung einzuschieben – daß unter den Indianern die Heilkunst und die Zauberkunst eng mit einander verbunden sind. Der Arzt macht und verordnet seine Medicin mit abergläubischen Gebräuchen und Beschwörungen. Gott ist nicht das einzige Wesen, das der Wilde in den Wolken sieht und im Rauschen des Windes hört. Seine Phantasie bevölkert Erde, Wasser, Luft und die meisten leblosen Gegenstände mit unsichtbaren und unfühlbaren Gestalten, vor denen er sich fürchtet und die daher nicht selten eine große Gewalt auf ihn ausüben. Jedes Ding, das bei einer Krankheit wirkt, alles Uebernatürliche, kurz Alles, was er nicht begreift, ist für ihn – eine Arzenei.

Hier neckten wir den Doctor gewöhnlich mit der Bemerkung, daß auch den Aerzten der weißen Männer viele Arzeneien Arzenei sein möchten im indianischen Sinne; denn sie wendeten dieselben sehr oft auf das Gerathewohl an und wären dann hinterher eben so über die unerwartete Wirkung erstaunt, wie ein Tschippewäer oder Dahcotah. Er ließ sich aber nie durch unsere Sarkasmen irre machen, sondern nahm ruhig den Faden seiner Geschichte wieder auf, ohne uns weiter etwas zu erwiedern.

Während diese Berathung vor sich ging, hatte der Pezhutah Wechaschtah mittlerweile mit seinen eigenen finsteren Gedanken Rath gepflogen in seinem Zelte, welches das geräumigste des ganzen Lagers war. Nur ihm allein war es gestattet, durch die Thür in den heiligen Raum zu treten. Alle Anderen, welche eine Veranlassung dahin führte, sogar seine Weiber, mußten zum Zeichen der Ehrfurcht unter dem Saume des Zeltes durchkriechen. Selbst der Häuptling des Stammes würde ohne ausdrückliche Erlaubniß nicht gewagt haben, sich auf eine andere Weise hinein zu begeben. Auf der Außenseite und inwendig war das Zelt mit seltsamen Gestalten, scheußlicher als die Löwen und Drachen auf den Wappenschilden, bemalt; vor der Thür wehte ein weißes Fähnlein mit einer rohen Nachbildung

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: Illustrirte Zeitung, Nr. 5 vom 29. Juli 1843. J. J. Weber, Leipzig 1843, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Illustrirte_Zeitung_1843_05.pdf/9&oldid=- (Version vom 4.6.2018)