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Illustrirte Zeitung, Nr. 6 vom 5. August 1843

– dem 4 bis 600 Fuß hohen kleinen Atlas im Norden und dem bis 7200 Fuß hohen großen Atlas im Süden – von Westen nach Osten das Land. Zahlreiche Arme laufen nordwärts zum Meer von ihm aus und zwischen ihren bewaldeten Höhen verbreiten sich fruchtbare Thäler und größere Ebenen. Südlich vom Atlas liegen Steppenländer und Wüste. Zahlreiche Berggewässer strömen vom Atlas ins Meer, wahrscheinlich auch im Süden zur Steppe und in den Dschiddi oder Ziegenfluß. Nordwärts fließen der Schellif, Mazafran, Bissar, Zowa, Wed-el-Kebir, Seibuse, die aber sämmtlich wegen der Kürze ihres Laufs entweder gar nicht, oder doch nur auf einer sehr kleinen Strecke beschifft werden können. Die Erde liefert Blei, Eisen und Salz, das Meer Korallen, der Boden Getreide, Datteln, Zucker, Oel, Weintrauben. Das Land ist reich an Wild, hat Woll- und Ziegenfelle, Pferde, Esel, Kameele, jedoch auch einige reißende Thiere. Das Klima ist gesund. Vom November bis zum April dauert die Regenzeit mit sehr milder Luft, und nur vom Juli bis October steigt die Hitze zuweilen auf 34 Grad R., besonders wenn der „Chamsin“ genannte Südwind weht, der die Luft mit seinem Wüstenstaube erfüllt. Selten fällt anderswo Schnee als auf dem Gebirge. Die Pest wird nur von außenher eingeschleppt; im Lande selbst kommt sie nicht vor.

In diesem Lande, dessen Größe man bald auf 5000, bald auf 9000 Quadratmeilen angiebt, je nachdem man seine Grenzen mehr oder minder weit nach Süden verlegt, lebt eine Bevölkerung von etwa 2 Mill. Menschen, worunter sich über 800,000 Berbern, 600,000 Mauren, 200,000 Araber, 70,000 Neger, 45,000 Juden, 28,000 Koluplis oder Nachkommen von türkischen Männern und einheimischen Frauen etc. befinden sollen. Sie treiben etwas Ackerbau, mehr Viehzucht. Ihr Gewerbfleiß ist gering, der Handel unbedeutend; die Ausfuhr: Getreide, Reiß, Wachs, Straußfedern, Wolle, Leder, Tabak; die Einfuhr: Fabrik- und Manufacturwaaren, Waffen. Der größte Theil der Bevölkerung bekennt sich zum Muhamedanismus.

Die einzelnen Volksstämme, welche dieses Land bewohnen, führen als ein Zeichen ihrer gemeinsamen Abstammung gleiche Geschlechtsnamen, wie z. B. Ulad Mokhtar, d. h. Kinder Mokhtar’s oder Beni Khalil, d. h. Söhne Khalil’s. Unterabtheilungen oder Familien, die zusammen leben, heißen nach Verschiedenheit der Oertlichkeit Kharuba, Dachra oder Duar. Sie stehen unter einem frei gewählten Aeltesten oder Scheik, d. h. Greis, dessen Würde jedoch meistens derselben Familie gelassen wird, indem man immer den Sohn zum Nachfolger seines Vaters wählt und ihm, wenn er unmündig ist, eine Art von Regenten zur Seite stellt. Zuweilen stehen mehre Scheiks mit ihren Duars unter einem gemeinschaftlichen Oberscheik. Dies ist namentlich bei den Kabylen der Fall, wo der Oberscheik mehre unabhängige Districte zu verwalten hat, frei gewählt wird und seiner Stelle auch wieder entsetzt werden kann. Neben und über dieser volksthümlichen Eintheilung besteht eine politische und von den Herrschern ausgehende, die mehre Stämme unter den Befehl von Kaids, Aghas, Khalifas stellt und diese größern Abtheilungen unter Bei’s, als den Verwaltern ganzer Provinzen, vereinigt, die Bei’s selbst aber den Herrschern, früher Türken mit ihrem Dei, jetzt Franzosen, unterordnet. Auf diese Weise verwalten die einzelnen Volksstämme ihre eignen Angelegenheiten, müssen aber nach oben hin Tribut zahlen. Um sie in Unterwürfigkeit zu erhalten und den Tribut einzutreiben, bedienen sich die Gewalthaber der waffenfähigen Mannschaft des einen Stammes gegen den andern und die zu dieser Unterstützung verpflichtete Miliz heißt Maghzen. Ist der Kaid oder Agha ein Eingeborner, so helfen ihm außerdem zunächst seine Stammgenossen, und endlich giebt die bewaffnete Macht der Herrscher – Janitscharen oder französische Truppen – seinen Anordnungen Nachdruck. So erklärt es sich, wie der eine Herrscher, die Türken, von einem andern Herrscher, den Franzosen, verdrängt werden kann, ohne daß die eigenthümliche Verfassung und Lebensweise des Volkes wesentlich davon berührt wird; so zeigt sich aber auch die eigentliche Natur des zwischen Abd-el-Kader, dem eingebornen Marabut, und den Franzosen bestehenden Krieges.

Arabische Reiterei.

Dabei handelt es sich darum, wer die obersten Beamten einsetzen, den Tribut erheben, mit Einem Wort: Herrscher sein soll. Nur gezwungen unterwerfen sich die treuen Muselmänner der Gewalt der Christen; einzelne Stämme sind Abd-el-Kader durch persönliche oder stammliche Erbfeindschaft entfremdet; in solchen Fällen nöthigen die streitenden

Zelte der Araber.

Partieen mit Gewalt zum Gehorsam; größtentheils neigt sich aber die ganze Bevölkerung ihren Stamm- und Glaubensgenossen zu, und höchlichst zu bedauern sind diejenigen Stämme, welche abwechselnd von den Franzosen und von Abd-el-Kader zur Unterwerfung genöthigt und für diese Unterwerfung gezüchtigt werden.

Mascara.

Empfohlene Zitierweise:
: Illustrirte Zeitung, Nr. 6 vom 5. August 1843. J. J. Weber, Leipzig 1843, Seite 85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Illustrirte_Zeitung_1843_06.pdf/5&oldid=- (Version vom 12.5.2023)