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Walther Kabel: Im Kugelregen (Reclams Universum, Jahrgang 26)

erzählen! Nein, in ihnen liegt da hinten tief verborgen ein glimmendes Fünkchen … die Sehnsucht nach Glück, Käthe - und heute habe ich es schimmern sehen, dieses Fünkchen, das Sie mit Gewalt auslöschen wollen, nur weil ein Mann Sie belog, betrog, nichts als Enttäuschungen in Ihr Herz häufte! Und deshalb halten Sie alle für schlecht, für Egoisten, denen das Weib nur ein Spielzeug ist, wie Sie Ärmste es dem einen waren.“

Frau Käthe Traut hatte den Kopf immer tiefer gesenkt. Der Sonnenschirm war ihr entfallen und trostlos schlang sie jetzt die Finger, an deren einem die zwei breiten goldenen Reifen glänzten, ineinander, preßte sie, daß ihr die Gelenke schmerzten. Nur nicht hören, nur nicht aufschauen, wo das lodernde Feuer zu ihr zu sprechen schien, wo dieses Feuer ihre Vorsätze in Asche zu brennen drohte … Und blitzschnell eilten ihre Gedanken wie Rettung suchend in die jüngste Vergangenheit. Fand sie denn nichts, nichts, das ihr das Bild dieses Mannes störte – nichts? War’s denn möglich, daß sie noch vor drei Wochen hier in Zoppot so wunschlos angekommen, daß heute schon alles in ihr in Aufruhr war – nur weil er ihr begegnen mußte, er mit diesen Augen, die wie ein Spiegelbild der ihren waren, in denen ein heimliches Leid und stilles Entsagen lag - mit dieser schlanken, nervigen Figur, an der jede Bewegung die frische Kraft verriet und der doch so frauenhaft zart zu trösten wußte, der sie in dieser kurzen Zeit verhätschelt und verwöhnt hatte wie ein krankes Kind … Nein, sie fand nichts gegen ihn, nichts! Da wollte eine jubelnde Glückseligkeit in ihr aufsteigen, sie hätte die braune Hand, die gegen das zarte Blau der Manschette so seltsam abstach, nehmen mögen und in Dankbarkeit streicheln, ihm irgend etwas Liebes sagen … aber ihr Mund blieb stumm. Da war sie wieder, diese tiefe Mutlosigkeit, diese Feigheit, die sie vor der Entscheidung zurückschrecken ließ. Und langsam verblaßte das Bild dessen, der da im Seesande neben ihr saß, und der andere, der vor kaum fünf Jahren seinen siechen Körper an ihre frische Jugend gefesselt, drängte sich zwischen sie.

Noch tiefer senkte sie ihr blasses Gesicht, und der Leidenszug um den schöngezeichneten Mund trat so deutlich hervor. Ihre Finger schlangen sich fester ineinander … sie wollte sich weh tun! Nur festbleiben – festbleiben! Und um sie her jubelten die spielenden Kinder, kreischten auf vor Lust; die See rauschte leise, so besänftigend, und vom Kurgarten schallten einige Walzertakte zu den beiden törichten Menschen herüber … Erst als sie seine Stimme wieder hörte, die jetzt so gezwungen, so hart die Worte formte, fand sie sich in die Wirklichkeit zurück.

„Also Sie reisen übermorgen bestimmt ab, Frau Käthe?“ Es war wie eine konventionelle Phrase … Und das zwischen ihnen … zwischen ihnen …!

Sie nickte nur und suchte dann in seinem Gesichte zu lesen. Das sah plötzlich so versteinert aus, so ganz anders wie sonst … Und seine Augen schauten an ihr vorüber.

„Wie wird es mit unserem für morgen geplanten Strandspaziergang nach Brösen? Werden Sie nicht von den Reisevorbereitungen zu sehr in Anspruch genommen sein?“ fragte er weiter.

„Der Vormittag gehört noch Ihnen,“ meinte sie zögernd, „es soll unser … Abschied sein!“ Und dann reichte sie ihm die Hand und bat leise:

„Nicht dieses Gesicht, Heinz Büding! Seien Sie doch verständig … bitte, bitte!“

„Ich bin es schon,“ sagte er nur. Da war’s Frau Käthe, als ob sie ihn für immer verloren hatte.

***

Am nächsten Vormittag trafen sie sich pünktlich neun Uhr wie verabredet auf dem Stege. Käthe Traut sah übernächtig aus, hatte bläuliche Schatten um die Augen. Und der Ausdruck müder Resignation in Heinz Büdings schmalem Sportgesicht, das der englisch geschnittene Schnurrbart und die roten Schmißnarben so jung erscheinen ließen, wollte auch trotz des eifrigen Plauderns seiner Begleiterin nicht verschwinden. Sie gingen an dem neuen Südbade vorüber und schritten dann dicht am Ufer auf dem festen Sandstreifen entlang, der nur bisweilen von einer weiter auslaufenden Welle bespült wurde. Es regte sich kein Lüftchen; die See lag wie ein bleigrauer Spiegel da, und nur in langen Zwischenräumen schoß eine sich kräuselnde Brandungswoge wie eine forthuschende Schlange am Ufer hin. Über ihnen brannte die Sonne, die Luft war erfüllt mit den scharfen Gerüchen des in der Hitze faulenden Seetangs, den Teerausdünstungen der Fischerboote, die hier auf dem Südstrande dicht nebeneinander lagen. Hochgeschürzte Fischerfrauen mit roten, frühgealterten Gesichtern waren bei den Fahrzeugen beschäftigt, die beim Morgenfang erbeuteten Flundern auf dünne Weidenruten zu ziehen; die Männer in den bis an die Hüften reichenden Stiefeln besserten Netze aus, legten die langen Fangleinen zusammen, und der beißende Tabakrauch aus ihren kurzen Holzpfeifen wehte bis zu den beiden hinüber, die jetzt schweigend vorüberschritten. Die Blicke der Fischer folgten der Frau. Heinz Büding fühlte, wie ihre Augen die schöne Frau an seiner Seite umspannen. Er erriet ihre Gedanken, und die Bitterkeit wollte in ihm aufsteigen. Sie irrten ja alle, die da neidisch auch nur herzlichere Beziehungen zwischen ihnen vermuteten.

Und das, was er sich in den schlaflosen Stunden der vergangenen Nacht überlegt hatte, sprach er jetzt

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Walther Kabel: Im Kugelregen (Reclams Universum, Jahrgang 26). Phillip Reclam jun., Leipzig 1910, Seite 1186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Im_Kugelregen.pdf/3&oldid=- (Version vom 1.8.2018)