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Walther Kabel: Im Kugelregen (Reclams Universum, Jahrgang 26)

man sie überhaupt so weit vorgelassen, konnte nur ein unglücklicher Zufall sein. Wahrscheinlich beobachtete der Reiter nur die nach Zoppot zu gelegene Seite des Strandes, konnte nicht annehmen, daß sie arglos weitergegangen waren … dem Verderben entgegen.

Blitzschnell kamen Heinz Büding diese Überlegungen, während er das flache Ufer nach einer Deckung absuchte. Jetzt richtete er sich auf, um besser Umschau halten zu können. Da fühlte er sich von zwei Armen umschlungen und eine vor Angst zitternde Stimme bat …

„Nein … nein!“ Und die Arme zogen ihn wieder nieder in die Knie. Er aber schob seinen Körper vor den der Geliebten, suchte sie mit dem eigenen Leibe zu schützen. Frau Käthes eiskalte Hände hielten seine Linke wie schutzsuchend und dann, ehe er sich’s versah, hatte sie seine braune Hand an ihren Mund geführt und preßte ihre warmen Lippen darauf … In demselben Augenblick schlug ein Geschoß dicht vor ihnen ein.

Über Heinz Büdings Stirn perlte der Schweiß in großen Tropfen. Was galt ihm sein Leben! Aber sie … sie! Wenn ihr etwas zustieß! Und die sorgende Angst um die Geliebte ließ ihn zu einem schnellen Entschluß kommen. Da vor ihnen, vielleicht hundert Meter landeinwärts, hatte er einen niedrigen, mit dünnem Gras bewachsenen Hügel vorher entdeckt, der von der See unterspült war und so gegen die Landseite hin einigen Schutz gewährte. Aber wie dahin gelangen, wie diese Strecke zurücklegen, auf der nur zu oft die Sandwölkchen aufflogen, als ob sie den Leichtsinnigen vor diesem Wege warnen wollten? Doch – es mußte sein! Hier durften sie nicht bleiben, keine Sekunde länger.

Da beugte er sich über sie, sagte hastig:

„Wir müssen hier fort … halten Sie sich an mir fest, ich werde Sie tragen!“ Und ohne eine Entgegnung abzuwarten, hatte er sie hochgehoben; sie schlang ihre Arme um seinen Hals und … dann ging er rückwärts, oft stolpernd, dem schützenden Hügel zu, suchte sie wieder mit dem Körper zu decken, trotzdem er wußte, daß sein Leib kein genügendes Schild gegen das Nickelgeschoß des Karabiners war, daß ein Treffer sie beide verwunden würde … Die Sekunden wurden ihm zu Stunden, ihm, dem jeder Nerv bis zum Reißen sich spannte, der nur eines befürchtete: ihren Aufschrei, das Zeichen, daß sie getroffen war.

Und endlich, endlich hatten sie die schirmende Sandmauer erreicht. Behutsam legte er die teure Last nieder … Aber Käthe Traut klammerte sich an seinen Arm, zog ihn zu sich herab, und während ein erlösender Tränenstrom über ihre Wangen rann, schluchzte sie bebend:

„Heinz, ich will deine Freundschaft nicht mehr … ich …“ Sie wollte weitersprechen. Aber er verschloß ihr den Mund mit einem langen, innigen Kuß.

„Also nur so konnte ich dir beweisen, daß ich keiner der gefürchteten Egoisten bin, du liebes, liebes Geschöpfchen?!“

Da zog’s wie der Sonnenschein des Glücks über Frau Käthe Trauts einst so leidvolle Züge, und sich an den geliebten Mann schmiegend flüsterte sie beschämt:

„Dafür bin ich jetzt aber auch auf immer geheilt!“ Als sie dann nach Stunden, die ihnen wie im Traum verflossen waren, endlich an die Heimkehr dachten, war die Gefahr längst vorüber. Der Strand hatte sich wieder belebt, die rote Fahne und der Husar waren verschwunden. Arm in Arm, die Herzen voll Glückseligkeit, wanderten sie denselben Weg zurück. Und als wenige Tage später ihre Verlobung veröffentlicht wurde, da wollten die meisten Bekannten diesen Abschluß mit Bestimmtheit vorausgesehen haben. Und niemand ahnte, wie schwer Heinz Büding sich sein Bräutchen erkämpft hatte – eben im Kugelregen!

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Im Kugelregen (Reclams Universum, Jahrgang 26). Phillip Reclam jun., Leipzig 1910, Seite 1189. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Im_Kugelregen.pdf/6&oldid=- (Version vom 1.8.2018)