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Walther Kabel: Im Löwenkäfig. In: Das Buch für Alle, 47. Jahrgang, Heft 25, S. 560–561

Fuß in eine stählerne Rüstung gehüllt ist, und von dem man nichts als einen Teil des Gesichts durch das heruntergeklappte Visier des starken Topfhelmes sieht. Sogar die Hände des Gewappneten sind durch Eisenhandschuhe geschützt.

Mit einer Handbewegung bittet der Direktor um Ruhe, verbeugt sich und hält folgende Ansprache: „Meine Damen und Herren! Soeben erst hat mit Herr Hektor Loubin, dieser Herr hier“ – dabei weist er auf den Gepanzerten – „mitgeteilt, daß er, eingehüllt in eine Rüstung, deren Festigkeit den Pranken und Zähnen jedes Raubtieres widerstehen dürfte, den Löwenkäfig betreten will! Unter diesen Umständen halte ich mich natürlich nicht für verpflichtet, Herrn Loubin den Eintritt in den Käfig zu gestatten und ihm später den ausgesetzten Preis zu bezahlen. Der Herr pocht aber auf sein angebliches Recht. Ich protestiere hiermit aufs energischste dagegen, daß er –“

„Franzosen!“ fällt ihm da der junge Maler mit Donnerstimme ins Wort und tritt einen Schritt vor, „Franzosen, ich appelliere an euer Gerechtigkeitsgefühl! Auf den Plakaten steht nur als Bedingung angegeben, daß der Bewerber um den Fünftausendfrankenpreis ohne jede Begleitung den Käfig durchqueren und in dessen Mitte mindestens zehn Sekunden verweilen soll! Sonst nichts! Über die Kleidung ist nicht das geringste gesagt. Nun – ich habe mir eben dieses Stahlkleid für den heutigen Abend herausgesucht! – Franzosen, wer ist im Recht: der Direktor oder ich?“

Hektor Loubin hat nicht umsonst auf die schnelle Begeisterungsfähigkeit seiner Landsleute spekuliert.

Ein toller Lärm erhebt sich, bei dem die Löwen in der Manege immer unruhiger werden.

„Hoch Hektor Loubin!“ – „Loubin soll in den Käfig!“ – „Nieder mit dem amerikanischen Schwindler!“ so tönt es wirr durcheinander.

Da gibt der Direktor jeden weiteren Widerstand auf. Er winkt dem Kapellmeister zu, und unter den Klängen eines flotten Marsches betritt der junge Maler, jetzt mit heruntergeklapptem Visier, den Käfig.

Scheu ducken sich die Bestien vor der ungewohnten, blinkenden Erscheinung an den Gitterstäben zusammen.

Langsam schreitet Loubin bis gut zur Mitte, macht dort halt, schlägt das Visier wieder hoch und verbeugt sich mehrmals lächelnd nach allen Seiten. Unter ohrenbetäubendem Beifallklatschen des Publikums verläßt er dann unangefochten den Käfig und die Manege.

***

Am nächsten Vormittag fand er sich bei dem Direktor ein, um sich seine fünftausend Franken abzuholen.

Anstandslos wurden sie ihm ausbezahlt.

„Mein lieber Herr Loubin,“ sagte der geschäftstüchtige Amerikaner, als der Maler vergnügt die Banknoten in seine solcher Schätze ganz ungewohnte Brieftasche gepackt hatte, „ich habe mir in dieser Nacht so manches überlegt. Was meinen Sie dazu, wenn Sie während meines hiesigen Gastspiels jeden Abend in Ihrer Rüstung den Gang durch den Löwenkäfig machen wollten? – Dabei würden wir beide recht gut abschneiden. Augenblicklich sind Sie ja der berühmteste Mann von Paris und Umgegend. In sämtlichen Zeitungen steht ein genauer Bericht über die gestrige Eröffnungsvorstellung. Treten Sie weiter bei mit auf, so habe ich sicher stets ausverkaufte Häuser. Alle Welt wird Sie eben in Ihrer Rüstung zwischen den Löwen sehen wollen. Selbstredend zahle ich Ihnen dafür eine anständige Gage – sagen wir zweihundert Franken für jede Vorstellung. Das ist doch nicht zu verachten. – Hier, schlagen Sie ein!“

Hektor Loubin zögerte nicht einen Augenblick.

Jedenfalls hat er später nie wieder so üppige Atelierfeste für seine Freunde veranstalten können wie damals in den drei Wochen seines Engagements bei Bluffer & Co.

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Im Löwenkäfig. In: Das Buch für Alle, 47. Jahrgang, Heft 25, S. 560–561. Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1912, Seite 561. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Im_L%C3%B6wenk%C3%A4fig.pdf/3&oldid=- (Version vom 1.8.2018)