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reden gemeiniglich sehr viel von dem Brechen des Willens bey den Kindern. Man darf ihren Willen nicht brechen, wenn man ihn nicht erst verdorben hat. Dies ist aber das erste Verderben, wenn man dem despotischen Willen der Kinder willfahret, indem sie durch ihr Schreyen Alles erzwingen können. Aeußerst schwer ist es noch nachher, dies wieder gut zu machen, und es wird kaum je gelingen[1]. Man kann wohl machen, daß das Kind stille sey, es frißt aber die Galle in sich, und hegt desto mehr innerliche Wuth. Man gewöhnt es dadurch zur Verstellung und innern Gemüthsbewegungen. So ist es z. E. sehr sonderbar, wenn Eltern verlangen, daß die Kinder, nachdem sie sie mit der Ruthe geschlagen haben, ihnen die Hände küssen sollen. Man gewöhnt sie dadurch zur Verstellung und Falschheit. Denn die Ruthe ist doch eben nicht so ein schönes Geschenk, für das man sich noch bedanken darf, und man kann leicht denken, mit welchem Herzen das Kind dann die Hand küßt.

Man bedient sich gewöhnlich, des Leitbandes und Gängelwagens. Es ist doch auffallend, daß man die Kinder das Gehen lehren will, als wenn irgend ein Mensch aus Mangel des Unterrichtes nicht hätte gehen können. Die Leitbänder sind besonders sehr schädlich. Ein Schriftsteller klagte einst über Engbrüstigkeit, die er blos dem Leitbande zuschrieb. Denn da ein Kind nach allem greift, und alles von der Erde aufhebt, so legt es sich mit der Brust in das Leitband. Da die Brust aber noch weich ist, so wird sie platt gedrückt,


  1. Vergl. Horstig, Soll man die Kinder schreyen lassen? Gotha 1798.
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Immanuel Kant: Über Pädagogik. D. Friedrich Theodor Rink, Königsberg 1803, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Immanuel_Kant_%C3%9Cber_P%C3%A4dagogik_K%C3%B6nigsberg_1803.pdf/39&oldid=- (Version vom 1.8.2018)