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Dieser Moment war für mich von höchster Bedeutung. Ich wußte ja nichts über den Inhalt dieses Schreibens, wußte nur soviel, daß er auf Marga einen geradezu niederschmetternden Eindruck gemacht hatte. Schweigen durfte ich nicht – auf keinen Fall, sonst hätte ich die Rolle aufgeben müssen, die ich mir hier zu spielen vorgenommen hatte.

Daher antwortete ich jetzt, ohne mit der Wimper zu zucken –.

„Ob Ihre Vermutung zutrifft, Herr Kommissar, weiß ich nicht. Vorgestern früh brachte mir den Brief ein Junge, der sich sofort wieder davonmachte. Ich wunderte mich schon sehr, daß auf dem Umschlag keine Adresse stand. Als ich dann den Briefumschlag heranzog, war er leer wie jetzt. Ich hielt die Sache zunächst für einen schlechten Scherz, zerriß den Bogen daher und schleuderte die Schnitzel in meinen Papierkorb. Erst später dachte ich daran, daß der Brief vielleicht mit einer sogenannten sympathetischen Tinte geschrieben sein könne. Ich habe alles mögliche versucht, um die Schrift sichtbar zu machen. Es gelang mir nicht. Sie können bei meiner Wirtin nachfragen, Herr Kommissar. Die wird Ihnen bestätigen, daß ich mir Salz, Essig und Alaun von ihr ausgebeten habe. Ich hoffte, mit Hilfe dieser einfachen Mittel die Schriftzüge hervorrufen zu können.“

„Und Sie haben keine Ahnung, wer der Absender des Briefes ist?“ fragte Hiller eifrig, der in meine Angaben keinerlei Zweifel zu setzen schien.

„Wirklich nicht! Nicht einmal eine Vermutung,“ entgegnete ich fest.

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Irrende Seelen. Leipziger Kriminalbücherverlag, Werner Dietsch Verlag, Leipzig 1919, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Irrende_Seelen.pdf/102&oldid=- (Version vom 1.8.2018)