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Stimme der Versuchung unterliegen, nie mehr … Ich war geheilt für alle Zeiten …

Ich war müde geworden. Jetzt kam der Rückschlag nach dieser furchtbaren Nervenanspannung. Schon halb im Schlaf entledigte ich mich meiner Stiefel, hing das Jackett über die Stuhllehne und warf mich auf das Bett.

Wirre Träume durchjagten mein Hirn. Ich sah Marga Arm in Arm mit Rechtsanwalt Müller die Heerstraße nach Spandau zu entlang wandern, sah ihr lachendes Gesicht, mit dem sie zu ihm aufschaute.

Ich lag Onkel Grunert zu Füßen und flehte um Vergebung, weinte, daß mir die Tränen über die Wangen liefen. Er zeigte mit der Hand nach der Tür. Verachtung, Schmerz, Enttäuschung las ich aus seinem lieben, alten Antlitz … „Dieb – Dieb,“ hörte ich ihn rufen, Schandfleck unserer Familie!“ … – Schwechten mit dem roten Blutfleck auf der Stirn trat in meine Zelle. Sein bleiches Totengesicht war zu einem furchtbaren Grinsen verzerrt … Er beugte sich über mich, tiefer und tiefer. Ich wollte mich erheben, wollte fliehen. Wie gelähmt lag ich da. Und dann flüsterte mir seine vor Wut heisere Stimme krächzend zu: „Nie wird Marga dein, nie … Sie gehört mir, mir allein …“ Seine Finger umkrallten meinen Arm … Mit einem Schrei des Entsetzens fuhr ich empor, riß die Augen auf …

Vor mir stand Kriminalkommissar Hiller.

„Sie scheinen schwere Träume gehabt zu haben,“ sagte er ernst. „Vielleicht erlebten Sie im Traum das Drama nochmals, wie es sich in Wirklichkeit abgespielt hat.“ Er betonte dieses „in Wirklichkeit“

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Irrende Seelen. Leipziger Kriminalbücherverlag, Werner Dietsch Verlag, Leipzig 1919, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Irrende_Seelen.pdf/113&oldid=- (Version vom 1.8.2018)