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sich hören. Schon glaubte ich für immer von ihm befreit zu sein, als meine Vertraute, die Frau des Inspektors, mir eines Tages im Spätherbst heimlich einen Brief zusteckte. Darin schilderte mir Schwechten in bewegten Worten seine durch Krankheit entstandene augenblickliche Notlage und fügte die Bitte hinzu, ich möchte ihm mit fünfhundert Mark aushelfen, die er mir im Frühjahr wiedergeben würde. Ihm war nämlich bekannt, daß ich von meiner Großmutter väterlicherseits im Jahre vorher ungefähr 25 000 Mark geerbt hatte, die mein Vater mich selbst verwalten ließ. Dies alles hatte ich ihm, und manches andere noch, in meiner blinden Vertrauensseligkeit damals in Kolberg mitgeteilt.

Ich will mich kurz fassen. Bereits nach einem Monat traf ein zweiter Brief von Schwechten ein, wieder aus Berlin. Wieder verlangte er Geld – jetzt 1000 Mark, da er seine Stimme entdeckt habe und sich zum Opernsänger ausbilden lassen wolle. In meiner Angst sandte ich ihm auch diese Summe. Und so ging es fort, bis ich ihm vor sechs Wochen das Letzte meines Kapitals hingab, gezwungen durch seine Drohungen, die immer unverblümter geworden waren und schließlich darin gipfelten, er werde, falls ich ihm nicht blindlings gehorche, meine Briefe und die Photographien meinem Vater zuschicken.

Dann lud mich Tante Grunert zu sich nach Berlin ein. Meine Eltern, die ja nicht ahnen konnten, welchen Grund meine zunehmende Melancholie, mein trauriges Dahinvegetieren hatten, hofften von dem Aufenthalt in der Reichshauptstadt das Beste. Hier sah ich Schwechten nach fast dreijähriger Trennung

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Walther Kabel: Irrende Seelen. Leipziger Kriminalbücherverlag, Werner Dietsch Verlag, Leipzig 1919, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Irrende_Seelen.pdf/123&oldid=- (Version vom 1.8.2018)