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sie zu scherzen, indem sie näherkam und mir ungezwungen die Hand zum Gruße entgegenstreckte.

„Beinahe haben Sie recht, Marga,“ sagte ich mit einer Verbeugung, die eine Huldigung für ihre eigenartige Schönheit ausdrücken sollte.

„Inwiefern?“ fragte sie in leichter Verwirrung.

„Ersparen Sie mir bitte die Antwort, Marga.“

Der ernste Ton meiner Erwiderung machte sie aufmerksam. Forschend schauten ihre graublauen Rätselaugen mich an. Unsere Blicke begegneten sich zum erstenmal in einer Weise, die uns das Blut schneller durch die Adern jagte. Ich fühlte es an dem leisen Zittern ihrer Hand, die ich noch immer zwischen meinen Fingern hielt.

Verwirrt senkte sie dann den Blick zu Boden und zog ihre Rechte sanft aus der meinen. Aber sie sprach kein Wort weiter über das, was ich ihr eben gesagt hatte. –

Mein Onkel, ein kleiner, beweglicher Herr mit grauem Spitzbart, dem niemand seine vierundsechzig Jahre ansah, ließ sich, als auch wir uns dann begrüßten, nicht im geringsten anmerken, daß zwischen uns so etwas wie eine leichte – von seiner Seite ja nur zu berechtigte – Verstimmung bestand. Bald erschienen auch die übrigen Gäste, die mir bereits bekannt waren: der alte Professor Hunzinger, der wie immer seinen bereits recht blanken Gehrock anhatte, das Justizratsehepaar Wendel und ein Rechtsanwalt Müller, der sich durch seine genialen Verteidigungsreden in Strafsachen in kurzer Zeit einen Namen gemacht hatte, und zugleich Syndikus der Aktiengesellschaft war, deren Direktorposten mein Onkel innehatte.

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Irrende Seelen. Leipziger Kriminalbücherverlag, Werner Dietsch Verlag, Leipzig 1919, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Irrende_Seelen.pdf/31&oldid=- (Version vom 1.8.2018)