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Lorenz Oken (Hrsg.): Isis

durch das Gesetz, daß Besoldungen nicht als Vermögen angesehen werden, rein von der Vertretung ausgeschlossen ist, vertreten werden; damit Adel und Gelehrte nicht den Gesetzen gehorchen müssen, [84] welche ihnen Bauren und Handwerker durch die Feder der Juristen auflegen.

So also steht es mit unserer hochgepriesenen Verfassung!

[83]

Begünstigt die Haupteigenschaft im geselligen Charakter der Deutschen die Abfassung eines allgemeinen Gesetzbuchs zu jetziger Zeit?
Auszug aus der Rede, nach Uebernahme des Rectorats der Universität Greifswald am 11. May 1815 gehalten von Dr. Karl Schildener, ordentl. Prof. der Rechte.
(Greifswaldisches Academisches Archiv. Eine Zeitschrift. B. I. H. 1. 1816.)

Nach einer kurzen Einleitung theilt der Vfr die Frage in folgende drei:

1) Welche Eigenschaft erscheint als Haupteigenschaft im gesellschaftlichen Charakter der Deutschen? –
2) Wie offenbarte sich diese Eigenschaft in der letzten Zeit der deutschen Reichsverfassung? –
3) Bedarf dieselbe zu ihrer Erhaltung und Belebung eines allgemeinen Gesetzbuchs, und wird sie wechselseitig wiederum zur Beförderung desselben wirksam seyn? –

Die Untersuchung der ersten Frage, welche der Vfr mit tiefer Kenntniß des Alterthums und in einer blühenden Sprache durchführt, gibt das Resultat, daß der Hauptcharakter der Germanen der ältesten und mittleren Zeit, Treue sey, welche sich durch das anfänglich patriarchalische Familienleben, und durch dessen Fortwirken in den Einrichtungen der Zenden (Heerde, von Zünden), Gauen und Stammversammlungen, später der kaiserlichen Pfalzen, und selbst in den Namen der Kurfürsten, die sich auf alte Hausbedienungen und Hofämter beziehen, in der Kriegsverfassung, im Proceß vor Gericht, im Tempelbau sich unaufhörlich kund that.

Wohin führt aber dieß Alles? fährt der Vfr fort – Was bedeutet das unablässige Vervielfältigen Eines, im Anfange des Daseyns aufgefaßten Bildes bei einer Nation? – Das unermüdete Ausprägen desselben im ganzen gesellschaftlichen Leben und den Formen der Verfassung viele Jahrhunderte hindurch? – Es bedeutet die Liebe ursprünglicher Wahrheit; in sittlicher aber und also auch gesellschaftlicher Hinsicht, bedeutet es den Sinn unzerstörbarer Treue! – – Was einmal erkannt, einmal geliebt ist, wird festgehalten, wird bewahrt und gepflegt für alle Zeiten! – Das ist die alte Religion der Germanen, und mit diesem Sinne haben sie auch die [84] christliche aufgefaßt! – Wie in unsern Tempeln die Bildung der großen, das Gewölbe tragenden Pfeiler sich wiederholt in den viel tausend kleinen Schäften und Röhren, die den ganzen weiten Bau durchlaufen und endlich doch wieder zusammengehalten erscheinen in dem emporschießenden Thurme, – wie die Form des gebrochenen Gewölbes tausendfach vervielfältigt wird in dem sich immer wieder erneuernden Ornamente der Papstkrone, – wie die kleinen Röhren, Blätter, Knospen, Rosen, Sternchen, Kreuze an passenden Stellen sich zusammendrängen, um immer neue zu erzeugen, oder großen Massen des Gebäudes Platz zu machen, – und doch aus all dieser reichen Mannigfaltigkeit nur Ein Sinn, Ein Gedanke, Ein Geist spricht, das Gemüth mit unendlichem Frieden umweht und zu frommer Andacht hebt; – so auch in dem großen Bau der germanisch-deutschen Staatsgesellschaft, wo jedweder, – Klein oder Groß, Vornehm oder Gering, Reich oder Arm, – die Spuren, Formen, Bildungen, Resultate jener, allen gleich bekannten und von allen gleich geliebten alt-häuslichen Sitte und Verfassung auf die mannichfachste Weise wahrnehmend und empfindend, – von dem Zusammenhange dieser Gesellschaft, die sein Innerstes in großen vielfach verschlungenen Erscheinungen aussprach, ehrfurchtsvoll und kindlich durchdrungen – zur hingebendsten Liebe und wahrhaftesten Treue erweckt und erhoben ward! – – Dieß ist der Born, aus dem ihr schöpfen müßt, Nachkommen jener Heroen! – Die Treue ist es, die Nationaltreue, die ihr in Anspruch nehmen müßt, Regierer und Leiter der deutschen Völker, wenn der Gesellschaft Sittenlosigleit droht und die Verfassung wankt! – An dieser einfachen Tugend werden die künstlichen Kartenhäuser eurer Constitutionen, Gesetzgebungen, Steuerverfassungen, Religionstheorien, Moralsysteme, etc. mit Schanden zu nichte! – Was in Deutschland sich nicht auf wechselseitiges Vertrauen kräftig stützt, geht Alles unrettbar zu Grunde! –

Empfohlene Zitierweise:
Lorenz Oken (Hrsg.): Isis. Brockhaus, Jena 1817, Seite 83–84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Isis_1817_42.jpg&oldid=- (Version vom 12.8.2018)