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Lorenz Oken (Hrsg.): Isis

Wir wenden uns zur zweiten Frage:

Wie offenbarte sich die Nationaltreue in der letzten Zeit der deutschen Reichsverfassung?

Doch – welche Frage! – läßt sich vor Schmerz darauf antworten? – Auch vermag ich es nicht; nur eine Bemerkung, die nämlich: daß kein Volk, dessen Verfassung so bis ins Innerste zerrissen worden, solchen Zusammenhang in der Gesinnung bewahrt haben würde. Denn, nachdem die Fürsten Landeshoheit erlangt hatten und sich nicht mehr als Reichsbeamte betrugen, – nachdem sie in der Reichsversammlung nicht mehr persönlich erschienen, sondern zu Hause als unabhängige Herren waltend, sich in politische Machinationen einließen und einen armselig-glänzenden Hof hielten, wo der Adel corrumpirt ward, nachdem dieser Adel seine Würde als Landesvertheidiger eingebüßt und Hofschranze und Fürstendiener geworden war, – und nachdem die ehrwürdigen Magisträte der städtischen Gemeinheiten sich zu Geschäftsführern des Adels in seinen Privatangelegenheiten hatten brauchen lassen, um die eigene Existenz zu fristen, – da war das Lebendige in der Verfassung, was von persönlicher Erscheinung und Mittheilung, von persönlicher Erweckung und Behauptung vaterländischer Interessen, von Gleichheit im Gefühle der Kraft, von Treue und wechselseitigem Vertrauen der Repräsentanten ausgieng, entwichen; – auf den Reichstägen gab es keine Sprecher für die Interessen deutscher Völkerschaften, sondern europäischer Kabinetspolitik, – auf den Landtägen verhallte eine kräftige Stimme nach der andern, – und so lag die, auf Nationaltreue ausdrücklich und noch mehr stillschweigend gegründete Verfassung durch den ränkevollen Geist einer complicirten kleinlichen Politik in ihrem innersten Leben angegriffen – ein Raub der Begebenheiten – da. – Doch weg von der Erneuerung des Schmerzes in einer Zeit, wo frische Kräfte zur Heilung alter Wunden Hoffnung geben! – Auch war ja der Nationalzusammenhang unter den deutschen Völkerschaften nicht ganz zerrissen, er lebte eben in der Gesinnung, im dunklen Gefühle wechselseitigen Vertrauens fort, und hat sich in den neuesten Begebenheiten herrlich geoffenbart, – gedenken wir darum noch kürzlich der Ursachen, welche zur Erhaltung dieser Uebereinstimmung und dieses Vertrauens beygetragen haben.

Ich rechne dahin:

Zuerst die Justizeinrichtung und Verwaltung. Sie war – eine Nachahmung der [86] Reichsjustiz – in den meisten Territorien sich sehr ähnlich geblieben, und auch da, wo sie es weniger war, erweckte doch die Idee der Gerechtigkeit, worauf die Justiz ihrer Natur nach immer gegründet ist, so tiefe und eigenthümliche Nationalregungen, daß das Gefühl der Deutschheit sich nicht völlig verlor. Außerdem wuchs aber auch diese Justiz selbst an innerer Macht und Einfluß, seitdem die allgemeine Theilnahme am Oeffentlichen zu verschwinden, daß Ansehn der Stände zu sinken und das Interesse der Individuen sich ins Privatleben hineinzuziehen begonnen hatte; denn man gewöhnte sich zugleich, die Justiz als einzig übriggebliebene Schutzwehr aller öffentlichen sowohl, als Privatinteressen zu betrachten und zu verehren. Auf diese Weise und in diesem Sinne haben wir den Justizbeamten wegen der rücksichtslosen Aufrechthaltung der Idee der Gerechtigkeit und der unbefangenen Art ihrer Geschäftsführung viel zu verdanken, und fast mehr noch den Advokaten, die auch die Regierungen in ihren Anträgen zu kontrolliren nicht scheuten; – indessen schützt doch alle Justiz nur den Buchstaben des Rechts, sie verhärtet in sich selber und macht den Staat zu einer Rechtsmaschiene, oder sie wird verworren, und verrückt den allgemeinen Gesichtspunct, wenn nicht eine freie Ständeversammlung, die Bedürfnisse des Volks öffentlich aussprechend und den Geist der Gesellschaft nachdrucksvoll bestimmend, immer neues und wahres Leben in die erschlaffende Gesetzgebung gießt.

Eine zweite Quelle des Zusammenhanges zwischen den deutschen Völkerschaften waren Universitäten. Auf diesen, besonders denen in der Mitte Deutschlands, versammelte sich die Jugend aller Provinzen, hier sog sie gleiche Grundsätze ein, – Grundsätze, die um so nöthiger waren und um so tiefer drangen, als sie eigends dahin gerichtet wurden, die Mängel der bestehenden deutschen Staatsgesellschaften durch unablässiges Hinweisen auf das Bessere überhaupt, durch die Idee und das Räsonnement zu ersetzen, – denn wahrlich! – schon lange besteht keine wirklich deutsche Staatsgesellschaft mehr, – weder große, noch kleine; – die Ideen, die Räsonnements, die Urtheile der gebildeten und umsichtigen Beamten über die morschen Trümmer sind es, welche die morschen Trümmer eben zusammenhalten, und welche in Wechselwirkung mit den Gesinnungen der Bürger eine Opinion erzeugen, die selbst für den Mangel wohlgeordneter Ständeversammlungen den einzigen, noch übrigen Ersatz gewährt! – – Und Ihr, geliebte Jünglinge, redet von gewissen

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Lorenz Oken (Hrsg.): Isis. Brockhaus, Jena 1817, Seite 85–86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Isis_1817_43.jpg&oldid=- (Version vom 12.8.2018)