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Lorenz Oken (Hrsg.): Isis

Brodstudien, die allein hinreichend seyn sollen zur öffentlichen Wirksamkeit? – – Was ist doch wohl ein deutscher Beamter ohne Erziehung und allgemein gesellschaftliche Bildung, ohne durch Studien und Welterfahrung mannigfach geübte Geistes- und Gemüthskräfte? – Und was wird er in den nächsten Decennien seyn? – Wird er bestehen können? – Ihr aber, verehrte Väter und Lehrer der Universität, vergönnt, daß bei dieser Gelegenheit ich Euch nicht bloß als Gelehrte und Lehrer, sondern als Mitglieder eines politischen Instituts des gemeinsamen deutschen Vaterlandes begrüße! – Laßt uns der Würde unsers Platzes eingedenk seyn! – Und wenn sich in der Opinion, die uns umgibt, vielleicht kein Maßstab unserer Wirksamkeit findet, – laßt uns darum nicht hinuntersinken zur Befriedigung temporärer Bedürfnisse einer unglücklichen, hülfsbedürftigen, alles allgemeinen Interesses beraubten Provinz! – Laßt uns vielmehr, als echte deutsche Patrioten, mitarbeiten an der Bildung der Idee und der Gesinnung, – laßt uns das Unsrige beitragen zu der so nothwendigen geistigen Regsamkeit in und zwischen den Gauen Deutschlands, – und laßt uns kühn und muthig die Beurtheilungen unsers Werths in den künftigen Generationen suchen! – – Doch, Verzeihung, geehrte Versammlung, dem Interesse für diese Anstalt solche Abschweifung!

Es ist noch eine andere Seite an den deutschen Universitäten, welche in ihrer Wirksamkeit auf die Erhaltung des Zusammenhanges zwischen den deutschen Völkerschaften hervorgehoben zu werden verdient, – denn nicht bloß allgemeine Bildungsanstalten deutscher Jünglinge waren und sind sie Gottlob! noch; sondern auch die Hauptstützen und Beförderungen allgemeiner litterärischer Mittheilung durch Druckschriften zwischen den gesammten Provinzen Deutschlands und ihren weit zerstreuten, vielfach verschiedenen Bewohnern, – einer Mittheilung, die in einem Völkervereine, der durch Gesinnung, Meinung und immer lebhafter gewordenen Ideenverkehr fast allein noch zusammengehalten ward, von der dringendsten Nothwendigkeit und dem entschiedensten Einflusse war, – einer Mittheilung, die, wenn sie auch wenig Klassisches in unserer Litteratur geweckt und viel Mittelmäßiges veranlaßt hat, doch eben als politisch wirksame Maßregel des Bindens und Zusammenhaltens ihre eigentliche Würdigung und Anerkennung verdient.

Außer diesen beiden Quellen des geistigen Zusammenhanges zwischen den deutschen Völkerschaften gab und gibt es noch eine, durch alle Provinzen verbreitete, gar nicht geringe Anzahl einzelner Männer jedes Standes, die, voll von dem Interesse für die Idee und das gemeinsame Deutsche, durch Wort und That eine Uebereinstimmung in der Gesinnung Aller erhalten haben. – Doch – ich höre Sie fragen: hat nicht ein jedes Zeitalter solche Männer, die ihm eigenthümlich angehören, und die durch den Gang der Begebenheiten geweckt, mehr als Wirkungen, denn als Ursachen der [88] Zeitphänomene anzusehen sind! – Es kann seyn. Auch habe ich nur andeuten, nur bezeichnen wollen jene ehrenwerthen Männer, damit wir uns ihrer dankbar erinnern, denn, indem sie in der Unscheinbarkeit des Privatlebens unter uns umher gehen und uns in den kleinen Verhältnissen des Tages begegnen, achten wir nur selten darauf, daß sie die ungeheure Last des zerrütteten Allgemeinen auf ihren Schultern tragen und einen Sinn aussprechen, der, indem er uns wegen des Verlustes des Staats und der Kirche zu trösten sucht, die tiefsten, eigensten Kräfte aufregt und die Sehnsucht nach dem Himmel, oder nach Nationalzusammenhang weckt! – Ehret sie, begegnet ihnen mit Liebe und Gehorsam! – Oder kennt ihr sie nicht, wißt gar nichts von ihnen? – Und ihre Namen werden unbemerkt verhallen! – – Verzeiht, – es erscheint die bleiche Gestalt eines verehrten Mannes dem trauernden Blick und bannt das Wort auf der Zunge! –

Endlich nenne ich noch als Quelle deutschen Nationalzusammenhangs Dich, ehrenwerthes Volk der untersten Klassen, das im Schweiße seines Angesichts um die ersten Bedürfnisse des Lebens still und fleißig ringend, die alte Liebe, die alte Treue bewahrt hat. Zwar besitzt auch Dich, gleichwie jene Männer, jedwede Zeit und Geschichte, aber nicht in jeder bist Du Dir selbst gleich, Dir selbst treu geblieben! – Wenn die Thronen unserer Fürsten wanken, wenn die verfeinerten Stände fad und sittenlos, wenn die Krieger geziert, wenn die Dichter unwahr und die Denker unkeusch werden, wenn die Idee sich überfliegt und die Gesellschaft des Kriteriums der Wahrheit ermangelt, – wohin kann sie sich wenden, als zu Dir, wo die lautete Quelle alter Nationaltugend, treu bewahrt, jeder reinen That, jeder wahrhaften Gesinnung, jeder innigen Gemüthsregung ihren Segen spendet! – Ehret das Volk! – So wie Eure Edlen, Eure Weisen, Eure Krieger endlich immer wieder ersetzt werden aus dem Volke, so sollt Ihr dieß Volk in Euren Verfassungen und Versammlungen auch in Ehren halten, wenn Ihr Euch selbst nicht verachten, wenn ihr Einheit im allgemeinen Nationalgefühl bewahren oder erzeugen wollt! – Hinuntersteigen müßt Ihr zum Volke und gleich werden dem Geringsten unter ihm, sonst steigt es endlich doch zu Euch hinauf! –

Durch diese Andeutungen nun habe ich nur das Bild vom innern Zusammenhange der deutschen Völkerschaften wieder hervorrufen wollen, um daran die dritte Frage zu reihen:

Bedarf die allgemeine Nationaltreue, wie wir sie nun finden, zu ihrer Erhaltung und Belebung eines allgemeinen Gesetzbuchs, und läßt sich hoffen, daß sie wechselseitig wiederum zur Beförderung desselben wirksam seyn werde?

Die Lösung dieser Frage versucht auch der Vfr; wir aber überlassen sie dem Leser.

Empfohlene Zitierweise:
Lorenz Oken (Hrsg.): Isis. Brockhaus, Jena 1817, Seite 87–88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Isis_1817_44.jpg&oldid=- (Version vom 12.8.2018)