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Lorenz Oken (Hrsg.): Isis

zu besingen? Die folgenden Thaten, und vor allem die Wegnahme Trojas, durch die der Krieg beendiget wurde, mußten natürlicher Weise Gegenstand derjenigen Rapsodieen seyn, von denen man sagt, sie seyen von mehreren Verfassern gemacht, und mußten Theile des Gedichts werden, welches man Troja betitelt. Nun ist aber die Auswahl eines einzigen Falles unter so vielen, wie den Zorn des Achilles, und das Ordnen so vieler Zufälle, die ein Gedicht enthält, ein Entwurf, den ein einziger Geist wohl erfinden und ausmalen kann. Auch will ich hier nicht streiten über eine Meinung, welche sowohl zur Vertheidigung als Bestreitung eine fürchterliche Gelehrsamkeit forderte: ich sage bloß, daß an der Hauptgröße Homers sein Jahrhundert einen Theil haben müsse, weil überdieß geglaubt wurde, daß viele Dichter dieser Zeit zur Ilias beigetragen hätten. Und dieses verbindet sich mit den andern Gründen, die uns veranlassen zu glauben, daß dieses Gedicht wie ein Spiegel ist, in dem sich das Menschengeschlecht schon zu einem gewissen Zeichen von Bildung gekommen, abbildet; und dieses Werk ist mehr vom gemeinen Charakter des Jahrhunderts, als von dem eigenen des Verfassers besiegelt.

Den Deutschen war es nicht genug, Homers Dawesen gelehrterweise auszuforschen: sie wollten ihn zu ihrem Mitbürger machen. Und die Uebersetzung von Voß wird der Urschrift für ähnlicher gehalten als irgend eine in einer andern Sprache; weil er den Rythmus der Alten einwirkte: und sie versichern, daß sein deutscher Hexameter Wort für Wort dem griechischen folge. Ich glaube, daß eine solche Uebersetzung höchst wirksam sey, uns das alte Gedicht genau kennen zu lehren; aber ich zweifle, daß all das innere Poetische, welches die Regeln nicht lehren, und die Studien nicht lernen, habe in die deutsche Sprache übergehen können. Es blieb das Maaß der Sylben; aber die Harmonie der Klänge, wie können sie dieselben seyn? Die deutsche Dichtung verliert ihren natürlichen Klang, indem sie Schritt für Schritt den Fußstapfen des Griechischen folgt; sie kann doch nicht den musikalischen Vers anstimmen, der sich auf der Leyer sang.

Unter allen neuern Sprachen ist die italiänische die geschmeidigste um alle Gedanken und Gefühle des griechischen Homers auszuprägen. Sie hat zwar allerdings nicht denselben Rythmus: noch kann der Hexameter in die Sprachen gefaßt werden, welche man heut zu Tage redet (!); weil die langen und kurzen Sylben nicht dasselbe Maaß haben, welches man bei den Alten bemerkt. Nichts desto weniger entspringt aus [102] den italiänischen Worten eine Harmonie, die keiner Spondeen und Dactylen bedarf; und die grammatikalische Construction dieser Sprache ist einer vollkommenen Nachahmung griechischer Entwürfe fähig. In freien Versen fließen die Gedanken, durch keinen Reim gehemmt, frei wie in der Prosa, und behalten dennoch die Anmuth und das poetische Maaß.

Europa hat gewißlich keine homerische Uebersetzung, der Urschrift an Schönheit und Wirksamkeit so sehr nah, als die von Monti, in der Pracht ist und zugleich Einfalt; die gewöhnlichsten Bräuche des Lebens, die Kleider, die Gastmähler erhalten eine Würde von der natürlichen Zierde der Sätze: ein wahres Abmalen, ein leichter Styl macht uns heimisch für alles das, war in den Handlungen und in den Menschen Homers Großes und Heldenmäßiges ist. Niemand in Italien wird weiter die Ilias übersetzen wollen, weil Homer nicht des Gewandes beraubt werden kann, womit ihn Monti bekleidete; und mir scheints, daß auch in andern europäischen Ländern jeder, der sich nicht zur Lesung des Ur-Homers erheben kann, in der italiänischen Uebersetzung am meisten Kunde und Gefallen finden müsse. Ein Dichter läßt sich nicht übersetzen, wie die Verhältnisse eines Gebäudes sich mit dem Zirkel messen und übertragen lassen; sondern auf die Weise wie eine schöne Musik sich auf verschiedenem Instrument wiederholt: es kommt hier nicht darauf an, daß du uns im Abbild die nämlichen Züge einzeln gibst, wenn nur im Ganzen eine gleichförmige Schönheit ist.

Es müßten nach meiner Meinung die Italiäner ganz fleißig von den neuen Dichtungen der Engländer und Deutschen übersetzen; daher ihren Mitbürgern einige Neuigkeit zeigen, welche zum größten Theil bei der alten Mythologie zufrieden stehen bleiben: sie denken nicht, daß diese Mährchen zu einem guten Stück veraltert, ja sogar vom übrigen Europa verlassen und vergessen sind. Darum mögen die Köpfe des schönen Italiens, wenn sie lieben nicht müssig zu liegen, ihre Aufmerksamkeit jenseits der Alpen wenden, ich sage nicht, um die fremden Arten anzuziehen, aber um sie zu kennen; nicht um Nachahmer zu werden, aber um aus diesen veralterten Bräuchen herauszukommen, welche in der Gelehrsamkeit fortdauren wie die Complimente in der Gesellschaft, zum Nachtheil der natürlichen Gradheit. Wenn sich die Wissenschaft bereichert mit Uebersetzungen der Gedichte; so kann aus der Uebersetzung der Dramen noch viel größerer Nutzen entspringen, weil die Bühne gleichsam der Magistrat der Litteratur ist. Shakespear

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Lorenz Oken (Hrsg.): Isis. Brockhaus, Jena 1817, Seite 101–102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Isis_1817_51a.jpg&oldid=- (Version vom 13.10.2018)