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Heilige Einfalt


Mein Freund Max hatte etwa ein Jahr vor Ausbruch des Krieges seine geliebte Anita heimgeführt, ein schlankes, zartes, feines Geschöpfchen, man hätte sie wohl mit einem Rosaseidenzwirn vergleichen können oder einem jener süßen hohen Geigentöne der E-Saite, die sich langgezogen aus dem Dasein heraussingen. Max, der wohlbeleibte Recke, nahm sich schwerfällig aus neben seiner Prinzessin, aber beider Herzen klangen so gut zusammen, wie ein gewichtiges Römerglas und ein feiner Sektkelch, trotz aller äußeren Verschiedenheit.

Max hatte bei der Matrosen-Artillerie gedient und mußte sich als Maat in Cuxhaven stellen, so war für sein Leben vorläufig nicht viel zu befürchten. Ende September erfuhr ich jedoch von seiner Gattin, daß er sich schon vor einem Monat freiwillig zu dem von der Marine gebildeten Expeditionskorps gemeldet habe, das zu Land auf belgischem Boden an dem Kampf teilnahm. Sein letzter Brief, den die junge Frau mir zu lesen gab, war voll Zuversicht, aber dennoch und trotz ihres Leugnens schien mir, daß Anita sich Sorge machte. Müdigkeit dämmerte aus ihren Augen, ihre sonst so lebhafte Beweglichkeit war wie gelähmt, sie schien mir bedrückt, wie eine Apfelblüte unter der Schneelast des März. Als ich bald darauf ihre Mutter traf, begann diese gleich zu klagen. „Anita wird täglich magerer“, sagte diese Dame, die in bezug auf Körperfülle geradezu einen Gegensatz zu ihrer Tochter bildete, „sie ist ja ohnehin nur ein Püppchen, und ich fürchte, daß sie von dem Krieg noch krank wird.“ Ich suchte die Mutter zu

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/70&oldid=- (Version vom 24.7.2016)