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„Max hat seine Sache gut gemacht“, rief ich, und sie übermittelte mir unter den Klängen eines neuen Musikstücks die besten Nachrichten und einen Gruß von Max, dann aber wurde unser Gespräch ernsthaft unterbrochen durch die Festrede. Worte wie Hammerschläge, denen wie klingendes Metall die erregten Herzen antworteten. Namentlich, wenn der Redner darauf hinwies, daß das einstige belgische Bollwerk Antwerpen jetzt für Deutschland ein Stützpunkt, eine Burg im Kampf gegen den Hauptfeind England werden würde, klangen die Herzen in lauten Zwischenrufen. Ich sah Anita an; ihre Augen sprühten von Begeisterung. Dann jubelten wir: „Heil dir im Siegerkranz“, stießen flammenden Herzens mit den Gläsern an und sanken dann langsam aus dem Sonnenreich der Begeisterung auf die Erde zurück.

Die Mutter erinnerte sich ihres letzten Gespräches mit mir. „Anita sieht heute viel besser aus, als sonst“, sagte sie, „aber erst seit heute morgen. Sie hat vorige Nacht einmal gut geschlafen; nun frage ich nur: Weshalb schläft sie nicht immer gut?“ Onkel Karl bemerkte: „Gestern abend habe ich ihr mitgeteilt, daß Antwerpen gefallen sei.“ „Ihre Frau Mutter hat recht“, bemerkte ich, zu Anita gewandt, „Sie sollten immer gut schlafen. Schlaf ist das beste Lebenselixier.“ „Aber wenn ich nicht kann!“ trotzte Anita. „Weshalb kannst du denn nicht?“ frug gutmütig Onkel Karl. „Das ist mein Geheimnis“, war die Antwort. „Nun rück aber mal heraus mit diesem Geheimnis!“ befahl barsch die Mutter. Die junge Frau sträubte sich nicht wenig, aber unser Zureden und ihre eigene gehobene Stimmung brachen den Bann. Endlich kam es heraus: „Ich helfe nachts die großen Kanonen schieben“, sagte Anita. Onkel Karl lachte laut auf. Die Mutter sah starr ihre Tochter an und faßte ihr Urteil in die lapidarischen Worte: „Du bist verrückt!“ Ich bezwang meinen Lachreiz und bemühte mich, wie ein Untersuchungsrichter, dem Sinn der Worte auf den Grund zu kommen. Anita schien Vertrauen zu mir zu fassen, unter wiederholtem Zögern machte sie folgendes Bekenntnis: „Wenn ich müde und matt die Augen schließe, kommt mir

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/72&oldid=- (Version vom 24.7.2016)