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plötzlich der Gedanke, ob draußen auch die großen Brummer zur Stelle sind, und der Gedanke läßt mir keine Ruh. Ich denke mir, diese oder jene Festung muß bestürmt werden, die Brummer würden sie leicht zusammenschießen, aber weil sie noch nicht eingetroffen sind, wie zum Beispiel in Lüttich, müssen um so mehr Soldaten geopfert werden. Eine furchtbare Angst faßt mich an. Ich sehe die großen Kanonen auf dem Marsch, langsam rücken sie weiter, ich fasse mit an, greife in die Speichen, ich drücke, schürge, schiebe mit all meiner Kraft, die Dinger sind so schwerfällig, Hindernisse halten uns auf, aber wir lassen nicht nach, denn tausende Leben stehen auf dem Spiel, so kommen wir vor der Festung an, und dann erst, wenn die großen Brummer schießen, kann ich schlafen.“ „Kein Wunder“, warf ich ein, „wenn Sie danach am Tage müde aussehen.“ „Ich weiß ja, daß es eine fixe Idee, daß es Unsinn ist“, fuhr Anita fort, „daß ich leider, leider von hier aus keine Kanonen schieben, daß ich gar nichts nutzen kann. Aber was hilft das? Ich muß. Nur gestern abend, nachdem Onkel Karl mir gesagt, daß Antwerpen gefallen sei, bin ich gleich traumlos eingeschlafen.“ Die Musik begann zu spielen und schnitt eine weitere Unterhaltung ab, nur von der treuen Mutter Mund klangen nochmal, wie das Rasseln eines Fallbeils, die Worte: „Du bist verrückt.“ Ich hätte der Mutter fast recht gegeben; solche Ansichten von den Kruppschen Knalldroschken waren doch zu kindlich, aber anderseits stand ich staunend vor der Tiefe des Gemüts, der Weichheit der Empfindung, mit der diese junge Frau an dem Schicksal unserer Krieger teilnahm. Meine Augen ruhten auf ihrem Händchen. Wie ein zierliches Kunstwerk von Elfenbein erschien es mir, die Fingerchen waren so dünn und zart, wie Spinnweben und Mondesschimmer, und mit diesen griff die Prinzessin im Traum in die Speichen der großen Brummer und schob und schürzte! Da fiel mir der verwundete Artillerist ein, Herr Jäger, ich ging zu ihm und konnte den Feldgrauen gleich nach Beendigung des Musikstückes an unserem Tisch vorstellen. „Ein kölnischer Junge“, fügte ich hinzu, „der

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/73&oldid=- (Version vom 24.7.2016)