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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

seine kundigen Finger über die Tasten liefen. Eine leichte Röthe trat auf sein blasses Angesicht, er war ganz durchdrungen vom tiefsten Gefühl. Ich gestehe, noch nie sah ich die Leier in den Händen eines so geschickten Meisters. Aber als der Blinde sein Spiel geendet, liess er die ermatteten Hände kraftlos sinken, lehnte den Kopf an den Felsen, unter dem er sass und der Schweiss floss stromweise über sein heissglühendes Antlitz herab.

 Die Leierspieler besuchen auch häufig die Gegenden an der obern Weichsel und die Masuren lieben diese singenden Spieler nicht weniger, als ihre berühmten masowischen Dudelsackspieler.[1] Ich selbst erinnere mich noch eines greisen Leierspielers, der sich in Warschau zeigte. Hochgewachsen, etwas gebeugt unter der Last der Jahre, mit eisgrauem Haar und ehrwürdigem, klarem Antlitz trug er stets einen weiten hellblauen Mantel mit kurzem Kragen. Unter dem Mantel hatte er die Leier. Er ging von Haus zu Haus, sang alte Lieder und Dumen, und zeigte sich auch nicht selten selbst auf Spaziergängen, wo er melancholische Gesänge anstimmte. Ich erinnere mich seiner noch ganz genau; noch sehe ich dieses ehrwürdige, edle Antlitz mit Runzeln bedeckt, diese jugendliche Röthe auf den Wangen, diese langen, grauen Haare, mit denen der Wind spielte; sein langer Mantel — eine ganz ungewöhnliche Tracht unter der geputzten Menge der Bewohner Warschau's, die majestätische Gestalt des Greises, seine zitternde Stimme, welche so trefflich den behenden Klängen der Leier entsprach: — Alles dies wirkte tief auf meine jugendlichen Sinne. Es war dies der letzte Sänger und Leierspieler, den man hier sah; inmitten der französirten und germanisirten Stadt sang er mit dumpfer Grabesstimme seinen alten Gesang, den selbst ein schwaches Echo nicht wiederhallte. Niemand erachtete ihn damals seiner Aufmerksamkeit würdig. Ja ich entsinne mich sogar, wie er einst, aus einem Gasthause kommend, wo er sich nichts hatte erspielen können, weil ihn eine leichtfertige Frauensperson mit ihrem Kreischen überboten, wie in böser Ahnung zu mir sagte: „Schlimm genug, dass Ihr dem Alten nicht zuhören wollt, der Euch die alte Zeit und ihre Thaten ins Gedächtniss ruft.“ — Zwei Jahre später, als ich ihn kennen gelernt hatte (in den Jahren 1816 und 1818), im Winter, starb er. Vergebens suchte ich ihn an den Orten, wohin er zu kommen pflegte, und wo ich so oft seinem Spiele und seinen Liedern zugehört hatte; ich sah den Blaumantel, wie man ihn nannte, niemals wieder. Seinen blauen Mantel hatte man ihm umgethan und ihn darin begraben; die Leier aber, auf der nun Niemand mehr spielen konnte, in den Kamin geworfen, um die Stube der armen Familie zu wärmen, bei welcher der Greis gewohnt hatte.

II.

 Viele Ursachen trugen dazu bei, dass diese Sänger und diese Musik mit der Gusla, dem Dudelsacke und der Bandura bei uns zu Grunde gingen. Die Hauptursache lag jedenfalls in der Vorliebe zum Ausländischen, der Ausbreitung der italienischen Musik, dem Ueberhandnehmen der zahllosen Menge überseeischer Musiker und dem allgemeiner werdenden Gebrauche ausländischer Instrumente. Johan Gawinski ahnte den ganzen Verfall seines Instrumentes, als er im Jahre 1688 in seinen Idillen die Grabschrift auf seine Kobsa schrieb, die auch bereits bei dem Adel in Vergessenheit kam.


  1. Iwan Protasowicz nennt in seinem Werke: Inventores rerum (Wilno 1608. 4.) die masowischen Dudelsackspieler berühmt.
Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 309. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/320&oldid=- (Version vom 15.9.2022)