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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

aber bei dem Zustande der jüdischen Literärgeschichte würde es wohl verzeihlich sein, wenn auch manches unberührt geblieben, zumal ich selbst von den Erwähnten nichts als „das fliegende Blatt“ erhalten konnte, das unter allen sogar die ungeschickteste Schilderung zu sein scheint.

 Was den Charakter der Erzählung anlangt, so kann sie ihrer Bestimmung und Form nach natürlich nur einseitig sein. Die Bestimmung ist eine partikularistisch jüdische, für die Synagogen niedergeschrieben und daher mit Bibelreminiscenzen und religiösen Fäden durchwoben; die Form ist eine ephemerische, daher das unabgeklärte Wesen in derselben wie in einem Zeitungsblatte. Dabei blickt noch allenthalben die Absicht des Verfassers durch, durchaus Alles zu vermeiden, was nicht die Hebräer berührt; er erwähnt keinen Namen eines Hetman’s, er liefert keine specielle Angabe über die Kosakenpulks, und selbst die Städte würden von ihm nicht berührt worden sein, wenn deren Erwähnung nicht für die Synagoge nothwendig wäre. Genauere Berichte über Bogdan Chmjelnicki und über seine Losreissung von Polen, so wie überhaupt das Verhältniss der Polen zu den saporoger Kosaken, finden sich in den andern hebräischen Schriften, aber gerade diese konnte ich nicht auftreiben. Ich bin aber der Meinung, dass auch der kleinste Beitrag zu jener Geschichte nicht ohne Interesse ist; denn das Jahr 1648 und 1649 ist nicht blos für slawische Juden, sondern auch in der Geschichte der Polen ein höchst denkwürdiges. Der Aufstand der Kosaken, vereint und in bestem Einverständniss mit den Tataren, wie die jüdischen Historiker berichten, gegen die Uebergriffe der Jesuiten und gegen den Uebermuth des polnischen Adels, ist die erste bedeutsame Kalamität der polnischen Politik, welche, allmälig fortwuchernd, endlich den Untergang des polnischen Staats herbeigeführt. Der Abfall der Ukraine von Polen ist der Wendepunkt der jesuitischen Umtriebe. Bei den Slawen findet der römische Katholicismus keinen natürlichen Haltpunkt, daher dem Adlerfluge der Kosaken, die nur auf die Beute ihr Augenmerk gerichtet haben, das griechische Kreuz folgte, so dass die Kleinrussen in ihnen die Kämpfer für ihren Glauben erblickten. Aber auch für die politische Geschichte der saporoger Kosaken muss jeder Beitrag, welcher jenen Aufstand erläutert, willkommen sein, da die Urkunden, welche Herr Skalkowski mit so grosser Mühe zusammengebracht [1]), so reichhaltig sie auch sind, doch nicht bis zu diesem Aufstand reichen. Die saporogischen Kosaken treten mit dem Anfange des XVI. Jahrhunderts als rein slawische Glieder auf den historischen Schauplatz, indem sie früher mit türkischen und andern asiatischen Elementen ganz durchmischt waren [2]), und die Sichlossreissung von Polen ist ihre erste historisch wichtige That. In der jüdischen Auffassung des Kosakenlebens liegt nichts Unwahres und Unhistorisches, obgleich Hr. Skalkowski sie als eine Genossenschaft slawischer Helden oder als einen Ritterorden darzustellen sucht. Sie erscheinen auf dem Schauplatze in der That nicht anders als eine organisirte Räuberbande, auf der niedrigsten Stufe der Bildung stehend, kaum den wilden Bewohnern der Wüste vergleichbar, indem sie ohne Unterschied Freund und Feind beraubten, und wie die wilden Kirgisen oder wie früher die Tataren Menschenraub trieben und auch nur von Beute lebten. Dass die saporoger Kosaken nur Kriegerkolonien oder Krieger-Genossenschaften aus den Rusnjaken wären, also ursprüngliche Einwohner von der Ukraine, Wolynien, Podolien, Galizien, wie Hr. S. meint, ist durch Nichts begründet. Die Ansicht über das Wesen des Kosakenthums haben die Hebräer mit den an Russland grenzenden asiatischen Stämmen gemein; denn auch diese verstehen unter Kosaken nur Freibeuter, welche blos des Raubes wegen sich dem ersten besten als Miethlinge hingeben. Selbst die Russen scheinen von den Kosaken keine bessere Ansicht


  1. s. die Abhandlung in Jurnal ministerstwa narodnago u. s. w., im Auszuge wiedergegeben in Archiv f. wissensch. Kunde v. Russland. 1841. Hft. 2.
  2. vgl. Bronewskis Geschichte der donischen Kosaken u. s. w., s. die Anzeige derselben von W. Schott im Archiv f. wissensch. Kunde v. Russland. 1842. Heft 1.
Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/115&oldid=- (Version vom 3.11.2018)