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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Jahres, im Monat Nisan (April), als die Thränen der verfolgten Glaubensgenossen sich mehrten; denn um jene Zeit begannen jene Horden zu jagen und zu hetzen die schwachen, geplagten Israeliten; viele durch Frömmigkeit gekrönte Häupter büssten ihre Kronen ein, und viele Hundert arme, bedrängte Juden fielen als Märtyrer. — Zwar zogen grosse Haufen des polnischen Adels und Volkes den Empörern entgegen, um zu streiten wider die Schelme und ihnen zu vergelten nach der Frucht ihrer Uebelthaten; aber da geschah es, dass, als die Polen ihren Schaaren sich näherten und allmälig in das Land der Unreinen, genannt Ukraine mit seinen Umkreisen, gelockt wurden, die Schelmenbanden sie durch List und Verrath überfielen; denn auch jene Kosakenschelme, welche beglaubigt in den Büchern des polnischen Militärs conscribirt waren — es war nämlich von aller Zeit her ein unabänderliches Recht der polnischen Krone, eingetragen in ihrem Gesetzbuche, dass zwölf Tausend waffenfähige und kampfgerüstete Kosaken stets zum Dienste der Krone bereit sein müssen, um ihr Hülfe zu leisten, wie sie es ihnen gebietet — brachen den Eid und missachteten das Gesetz, und schlossen sich als Bundesgenossen ihren schelmischen Brüdern an. Auch grosse Schaaren von Tataren rotteten sich zu den Kosaken[1], umzüngelten so gemeinschaftlich den Anführer des polnischen Heeres mit all seinem Adel, seinen Reisigen und Knechten, richteten unter ihnen ein grässliches Gemetzel an und plünderten all ihr Gut. Auch die Heeranführer mit einem Theile des Adels erschlugen sie. Das war kurz vor Pfingsten, drei Tage vor ihrem Feste, am Mittwoche, ein Tag, der zu dem Unglücke der Polen bestimmt war. An selbigem Tage ging der König Wladislaw heim zu seinen Ahnen (starb), seine Seele schied aus ihm in der Provinz Lithauen, weit von dem Lande der Ukraine; er verschied nämlich in der Nähe der grossen Stadt und Residenz Wilno. Der König wusste bei seinem Verscheiden noch nichts[2] von dem Kosakenaufstande, und auch umgekehrt hatten die Kosaken auch nicht seinen Tod erfahren. Und wir, das Volk und die Diener Jehova’s, seine Heerde, die wir in der ganzen Provinz Lithauen umher verstreuet sind, wir weinten und trauerten um den König. Ehre seinem Grabe[3]. Noch aber wussten wir nicht von dem harten Geschicke, welches der Unerforschliche über uns verhängt hatte, als bereits alle Israelitengemeinden in der Ukraine den heimathlichen Heerd verliessen, Vaterstädte und Vaterland im Stiche liessen und sich nur mit dem nackten Leben und mit der geringen Habe zur dürftigen Selbsterhaltung flüchteten. An der heiligen Feier des Wochenfestes (Pfingsten) mussten sie das mosaische Gesetz entweihen, denn sie waren genöthigt zu entfliehen und für ihr Leben einzustehen nach Kräften; zerstört war die Festfreude und die heilige Feier, die doch jeder Israelit begehen sollte. — Es flüchteten sich Viele nach Niemirow, der grossen und berühmten Judenstadt, welche die vorzüglichste Judengemeinde halte, ohne dass noch in der ganzen Gegend der Tod des Königs geahnt wurde, so dass sie noch immer zu Gott fleheten, dass er durch den König und sein grosses Heer Hülfe senden möge. Als sie aber hierauf die Wahrheit erfuhren, da war ein herzzerreissendes Jammern und Klagen überall; Thränen in den Augen stimmten sie Klagelieder und Trauerweisen an, denn sie sahen, dass das Unglück von Gott beschlossen sei. Bei der Todeskunde des Königs jubelten und frohlockten die Kosaken, aber das Volk der Polen erbebte und ein namenloser Schrecken erfasste es. Es lagen wüste die öffentlichen Strassen und die Wege waren verödet (da Niemand mehr sicher war). Da kamen fünfzig Kosaken


  1. Siehe Salvandy in seiner Hist. de Pologne I. p. 129, wo es in dieser Beziehung heisst: Les Tartares de Bessarabie, ceux de Krimée, déposant leurs vieilles haines de religion et de voisinage, vinrent se vallier aux étendards des révoltés pour les aider a mettre la république en lambeaux (s. Zedner: Auswahl historischer Stücke aus hebräischen Schriftstellern vom zweiten Jahrhundert bis auf die Gegenwart. Berlin 1840. 8.)
  2. Salvandy Hist, de Pol. das.; Zedner das.
  3. In Wladislaus Grabschrift heisst es: Civium Amori, Patriae Patri, Orbis Parenti, Moesta parentat Polonia. S. Lauterbach’s Polnische Chronica.
Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/117&oldid=- (Version vom 13.12.2020)