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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

mit List und Verschlagenheit nach Niemirow herangezogen, liessen Trompeten und Posaunen laut in einer Weise erschallen, dass man glauben musste, dass die Polen mit ihren Kriegern hoch zu Ross mit klingendem Spiele heranzögen, um so den Zweck zu erreichen, dass die Thore der Veste geöffnet werden und nicht bleiben verrammelt. Das Satanswerk gelang; die Kosaken konnten ihren Plan ausführen, die grausamen Thaten. Sechstausend Juden büssten in dieser Stadt ihr Leben ein; fromme, gelehrte Männer und Rabbiner; Greise und Hochbetagte, Jünglinge und Jungfrauen, Frauen und Kinder wurden niedergemetzelt, und unter den Gefallenen war der hochgelehrte und weitberühmte Rabbi Jechiët Michel. Viele Hunderte wurden ertränkt, Viele durch die grausamsten Martern hingeopfert; in der Synagoge vor der heiligen Lade wurden die Vorsänger, die Aufseher und die Küster förmlich geschlachtet; die Israeliten brachten wieder, wie ehemals, blutige Opfer; sie waren selbst die grausamen Opfer, ihrem Gotte sich weihend. Hierauf zerstörten sie die schöne Synagoge, die einem kleinen Prachttempel glich; die heiligen Gesetzrollen wurden entweder zerschnitten und von den Füssen der Barbaren und ihrer Rosse zerstampft, oder es wurden aus denselben Sandalen und Gewänder gemacht. Dieses geschah am Mittwoche, den 20. Siwân (Juni). Dieser Monat scheint ein alter Unglücksmonat für uns zu sein; denn im Jahre 4931 d. h. 1171 war eine grosse Judenverfolgung an demselben Tage desselben Monats. Die fromme Judengemeinde zu Niemirow war das erste grosse Opfer des Kosakenaufstandes; von da aus verbreitete sich der Kosakenhaufen in viele Pulks getheilt. Eine grosse Raubbande ging von da nach Tulczyn, wo ebenfalls eine grosse Judengemeinde und ein zahlreicher Adel war. Sie belagerte diese Veste acht Tage lang, so dass die Einwohner, die Juden und der Adel fast ausgehungert wurde, ohne desshalb aufzuhören, Tag und Nacht Ausfälle gegen die kosakischen Empörer zu machen. Da liessen endlich die Kosaken dem Adel sagen: „Warum kämpft ihr so heftig, um die armseligen Juden zu beschützen und zu vertheidigen? Die Juden allein sind unsere Feinde aus frühester Zeit, diese verdienen nicht euern Schutz; wir wollen euch Adeligen nichts Böses zufügen, nur gebt uns die Juden Preis, die unsern Glauben verläugnen, damit wir uns mit deren Ausrottung trösten und unsere Rache an ihnen kühlen.“ Der Adel ging in die Falle, willigte in seiner Bedrängniss in diesen verrätherischen Vorschlag und sie gaben den Kosaken die Juden Preis. Dreitausend Juden büssten ihr Leben ein unter den schrecklichsten Martern, welche die Barbarei nur erfinden konnte; manche wurden zerhackt, erschlagen mit Kolben, Aexten, Sägen und dergleichen. Das war an einem Freitag, den 4. Tammus, an welchem Tage einst Moses die heiligen Tafeln zerbrochen und an welchem die Urim und Tumim verschwunden. An diesem verhängnissvollen Freitage sahen wir deutlich, dass Gott über uns ein unabänderliches Schicksal bestimmt, denn an demselben Tage wurden von einer andern Kosakenbande 1500 Juden in Humanj in Russland vernichtet. Die russische Stadt Humanj ist von Tulczyn ungefähr 70 Ferseng entfernt, etwa 260 Sabbatwege. Auch noch viele andere Juden büssten ihr Leben ein. Es ist bekannt geworden, dass diejenigen Juden, welche in Humia eingeschlossen waren, wahrhafte Blutzeugen des Glaubens wurden, eher als alle anderen in den andern Städten. Denn dort ereignete es sich folgendermassen. Die Kosaken kamen auch hier mit den Adeligen überein, dass die Juden ihnen ausgeliefert werden sollen, und wirklich wurden sie ihnen hierauf preisgegeben. Sie wurden aus der Stadt geschleppt und auf einem Felde, im Angesichte der schönen Triften und Weinberge, zusammengetrieben; hierauf wurden sie von einem Kreise umschlossen, nackt ausgezogen, und so, niedergekauert auf dem frischen Grün, vor Schaam und Schmerz zerrissen, lagerten die zum Tode gehetzten Juden und glichen einer zur Schlachtbank bestimmten Heerde. Da sprachen die Kosaken zu den Juden in guten, tröstenden Worten: „Warum lasst ihr euch morden, erwürgen und hinschlachten wie Opferthiere, einem Gotte zu ehren, der seinen glühendsten Zorn ohne Erbarmen über euch ausgegossen? Wäre es denn nicht besser für euch, wenn ihr unsere Götter anbetetet, unsere Bilder, unsere Kreutze ehrtet, so dass wir

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/118&oldid=- (Version vom 13.12.2020)