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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

allmählig abzuweichen. Die Subbotken bringen den Töchtern Turopka’s unzählige Vortheile, denn fast nur an ihnen wählen sich die Frauen ihre Freier aus, fast nur an ihnen schliessen sich die jungen Männer fest und für ewig an die Mädchen.

 So feierten ehemals die „rechtgläubigen Christen“ in Russland ihr Weihnachtsfest. Die Enkel und Urenkel dieser ächten National-Russen aber, die gegenwärtige Generation, verkürzt und verflacht dieses Fest immer mehr und mehr, so dass der Volksfreund die Aussicht hat, in einigen Jahrzehnten schon mit Bedauern sehen zu müssen, wie dieser alten, ehrwürdigen Nationalsitte nur noch in den untersten Kreisen des Volkes, von den Bauern auf den Dörfern, einige Anhänglichkeit und Verehrung gezollt wird.

 Der wichtigste Abend war der Wasili-Abend; er war der Glanzpunkt der russischen Swjatki. Für diesen machte man alle möglichen Vorbereitungen; die heitersten Familien- und die glänzendsten gesellschaftlichen Abendunterhaltungen wurden an ihm gefeiert; die Prophezeihungen dieses Abendes galten für die wichtigsten des ganzen Jahres und gingen ganz gewiss in Erfüllung.

 In den Gouvernements hinter der Oka werden die Weihnachtsfeierlichkeiten mit dem Abende des vierten Januars beendet. An diesem Abende kamen die guten Mütter in vollem Putz in das gastliche Haus, und nahmen nach Beendigung aller Prophezeihungen und Wahrsagereien ihre Töchter mit sich nach Hause.

J. P. J.

III.
Künste.
Der russische und der französische Soldat.

 Wir entnehmen folgende treffliche Charakteristik der beiden Nationen in militärischer Hinsicht einem Werke, das zu Ende des vorigen Jahres unter dem Titel: „De la Russie et de la France. Entretiens politiques. Par un inconnu“ in Paris erschien und manchen vortrefflichen Gedanken, aber auch manches schiefe Urtheil über die beiden Staaten und das Verhältniss der übrigen Nationen Europa’s zu beiden enthält.

 Der Franzose ist sorglos, der Russe resignirt; der Eine ist zu Allem bereit, der Andere beklagt sich nie über Etwas; der Eine vertraut auf seine Kräfte, der Andere verliert niemals die seinen. Der Franzose hat mehr Elasticität, der Russe mehr Schwerkraft. Der Eine ist lebendig, der Andere ausdauernd; der Franzose eilt behend, der Russe kommt auch an.

 Die Individualität verliert sich niemals in der französischen Armee: soviel Mann soviel Individuen. Die russische Armee ist kein Aggregat von Individuen, sie hat nur einen Geist und einen Körper. Der Franzose will von Allein den Grund kennen; er urtheilt, discutirt und disputirt: sein Ich tritt überall hervor. Der Russe discutirt nicht, noch urtheilt er, er führt aus; seine Kräfte wachsen mitten in der Ausführung; alle seine Geisteskräfte sind erschöpft in dem Gefühle seiner Pflicht; er behält nichts, als die Fähigkeit, zu gehorchen; für die Furcht hat er keinen Sinn mehr. In der französischen Armee herrscht die Liebe zum Ruhm und der Enthusiasmus des einzelnen Mannes; in der russischen dagegen Verläugnung seiner selbst und der Enthusiasmus des Gehorsams. Menschliche Leidenschaften erregen die erstern, das Gebot des Schicksals scheint die andern in Bewegung zu setzen. In der einen führt die Ehre vor Allem das Wort, in der anderen befiehlt die Disciplin; im Moment, wo es gilt, entwickelt eine französische Armee mehr Thatkraft und Bereitwilligkeit; immer aber ist mehr Einheit im russischen Heere, ist man mehr Herr desselben.

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/131&oldid=- (Version vom 29.9.2019)