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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Fragen, welche der Verein oder auch einzelne Personen für besonders wichtig und einer gründlichen Forschung werth halten werden. 5) Endlich die Uebernahme von allerlei wissenschaftlichen Unternehmungen, welche wegen ihres Umfanges und ihrer Wichtigkeit auf dem Privatwege nur mit Mühe verwirklicht werden könnten.“ Ueber diese Vorschläge spricht sich dann der Verf. weitläufiger aus und thut die entschiedene Notwendigkeit ihrer Verwirklichung dar. — Der folgende Schlussartikel enthält Nachrichten aus dem Gebiete der Wissenschaft und Literatur von A. Moraczewski, denen wir eine grössere Vollständigkeit gern anempfehlen möchten. Sollte nicht ein möglichst vollständiges bibliographisches Verzeichniss aller im J. 1843 erschienenen polnischen Werke hier am Platze sein? — Wir sehen dem zweiten Hefte mit grösser Begierde entgegen.

 Gedichte von Apollon Majkow. St. Petersburg 1841. Russlands Literatur hat ein eigenthümliches Schicksal. Die grössten Talente, die zu den schönsten Hoffnungen berechtigen, sterben in ihrer Blüthe dahin. Aber der Genius der russischen Nation erstirbt nicht; immer und immer wieder tauchen junge Kräfte auf, welche, selbst durch die fauligen Sümpfe der von Partheisucht und Neid beherrschten russischen Kritik, sich Bahn brechen und in Kurzem zu einer Anerkennung kommen, welche von den wohlthätigsten Rückwirkungen auf ihre weitere Entwickelung begleitet ist. Zu diesen jungen Talenten gehört unstreitig auch der Verf. der oben bezeichneten Gedichte. Noch vor wenigen Jahren kaum dem Namen nach bekannt, findet er jetzt schon in den weitesten Kreisen Verehrer. Die ausserordentliche Einfachheit und Natürlichkeit, welche gegen die Geschraubtheit und Verzerrtheit seiner übrigen Landsleute desto mehr absticht, je weniger sie sonst in dem Charakter des Russen liegt; die Naivität, welche auf jeder Seite seiner Gedichte den an Unnatur, Verstellung und Sucht nach Gelehrtheit gewöhnten Leser überrascht; die zarte Anschauung der Natur und das Versinken und Sichverlieren des ächt dichterischen Gemüthes in dieselbe; endlich der ungemein glatte, elegante und reine russische Vers, der den jungen Dichter nirgends verlässt: — diess sind die Potenzen, auf welche sich der Beifall gründet, den Majkow bei seinen Landsleuten findet. Besonders ist es die Natur, an welche sich das junge Herz Majkow’s mit Innigkeit anschmiegt; sie begeistert ihn zu seinen schönsten Gedanken, von ihr lässt er sich aber auch leiten in den erhabensten Augenblicken seines Seelenlebens; sie ist ihm zugleich Führerin auf dem Gebiete des Schönen und Lehrerin in den Gesetzen der Kunst. — Unter seinen Dichtungen unterscheidet man zwei Hauptarten, welche durch ihren Charakter wesentlich von einander verschieden sind: eine klassische und eine moderne Dichtungsweise. Majkow hat für die Natur ein wahrhaft hellenisches Herz; seine Anschauung, sein Gefühl, seine Bilder und seine Phantasien tragen den unverkennbaren Stempel des Himmels von Hellas. Er hat die griechischen Dichter viel studirt, das sieht man überall. Es ist diess die erste Periode seines dichterischen Wirkens; in ihr steht er jetzt gross und glänzend da. Allein schon bricht der moderne Geist in einzelnen, wenn auch noch unklaren Strahlen, durch die attischen Wolken, und bürgt dafür, dass der Dichter auch zu der modernen Weltanschauung die Kraft erringen werde.


Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/151&oldid=- (Version vom 24.10.2019)