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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

deutsch (das Sprechen ist ihr aber immer noch sehr schwer); die vermöglicheren Bewohner sind in der That beider Sprachen mächtig, aber auch unter ihnen kennt man sogleich den Polen aus; die Beamten wieder reden fast allgemein nur deutsch. Die Juden, welche grösstentheils die Schänken auf dem Lande und den Handel in den kleinen Städten übernommen haben, verstehen ihr Interesse so gut wie überall und haben sich die Volkssprache so gründlich zu eigen gemacht, dass man oft aus ihrer Aussprache auch nicht im Entferntesten ihre Abkunft erkennen kann. — Uebrigens ist das Volk tugendhaft, aufrichtig und gastfrei, aber weiss wenig von der Welt Gottes; denn wie könnten es auch die Schullehrer und Geistlichen irgend etwas lehren, da sie ja seine Sprache nicht verstehen? Und wenn nun unter solchen Umständen nach so vieljähriger Erstarrung jetzt ein geistiges Leben sich zu zeigen beginnt, wenn selbst einzelne Früchte dieses Erwachens hervortreten, soll man sie nach dem deutschen Masse messen, sie verspotten und aushöhnen als Infusorien? Wie unpassend und kindisch nehmen sich solche Urtheile aus, neben Artikeln, worin Klage geführt wird, dass in dem Gymnasium zu Luxemburg bei einer öffentlichen Einschreibung Reden in französischer Sprache gehalten wurden, dass während der ganzen Feierlichkeit zwischen der deutschen Jugend und den deutschen Lehrern auch nicht ein Wort deutsch gewechselt wurde! Hebt doch die Hindernisse auf, welche jeden Fortschritt der Aufklärung in Oberschlesien hemmen, gebt dem Volke Lehrer, welche seine Sprache kennen und sich mit ihm verständigen können (und seien sie auch von germanischer Aufklärung durchdrungen); dann wird es ohne Zweifel jene überholen, welche es heute verhöhnen. Unterdessen müssen wir aber Erscheinungen, wie die Gedichte vom Lompe, wenn gleich Infusorien, mit Begeisterung aufnehmen, denn sie verkünden uns eine neue Epoche für Schlesien. Die jungen Geistlichen erkennen auch die Nothwendigkeit an und lernen polnisch.
Anielewski.


Brünn, 8. Januar 1843.
 Wie in so vielen Punkten ist es doch in Böhmen ganz anders, als bei uns! Ein eigenthümliches Schicksal scheint über Mähren zu walten, dass wir uns gar nicht zu einiger nationeller Kraft zu erheben im Stande sind. Viel trägt dazu der Umstand bei, dass wir keinen Centralpunkt unserer geistigen Entwickelung haben; denn wir haben zwei Hauptstädte und sind überdiess gewohnt, Prag auch für unsere nationale Mutter anzusehen. Dazu kommt, dass der südöstliche Theil unserer Slawen schon mehr den slowakischen Dialekt spricht, während in einzelnen Gegenden des Nordens der polnisch-schlesische Accent überwiegend ist. Am meisten schadet aber der Entfaltung unserer mährisch-czechischen Nationalität der gänzliche Mangel einer besondern mährischen Zeitschrift, welche sich ausschliesslich mit den Interessen unseres Landes befasste. Das Bedürfniss einer solchen zeigt sich in jeder Hinsicht so klar und bestimmt, dass es selbst ein Blinder nicht läugnen kann. Und dennoch erhebt sich noch keine. Die Kräfte kommen nicht zusammen; die Böhmen sind uns weit vorangeeilt, und machen es möglich, das gröbste Bedürfniss bei ihnen zu befriedigen. Allein das reicht bei weitem nicht hin; jeder ächte Mährer, jeder ächte Czeche wird das zugestehen. Auf einem ganz andern Felde, als wir erwarteten, ist nun ein kleiner Anfang zum Zusammenwirken mehrerer für die Landesinteressen gemacht. Der bekannte und höchst verehrte Professor Fr. Diebl nämlich, welcher bereits so viele Opfer gebracht hat, um unseren Landmann auf eine höhere Stufe der Bildung und des Wohlstandes zu erheben, hat den Entschluss gefasst, eine besondere Zeitschrift für das mährische Landvolk, mit Berücksichtigung seiner wahren, geistigen und materiellen Bedürfnisse herauszugeben. Das Unternehmen entspricht denen in Böhmen erscheinenden gleicher Art und wird gewiss in Kurzem die gesegnetsten Früchte für unser Land bringen.
— l.


Prag. . . .

 Wie mächtig sich unsere Nationalität in jeder Hinsicht zu heben beginnt, hat sich besonders im vorigen und im Anfange des jetzigen Jahres gezeigt. Das böhmische Nationalmuseum, dessen unter dem Namen Matice česká bekannter Unterstützungsfond für die Nationalliteratur sich in etwas mehr als einem Decennium zu einer so ausserordentlichen Höhe empor geschwungen hat, dass sein Stammkapital von nun an nicht mehr vermehrt zu werden braucht, hat im vorigen Jahre das höchst wichtige Unternehmen der Herausgabe einer böhmischen Bibliothek, und zwar einer alten und neuen, begonnen. Werke, wie Viktorin von Wschehrds böhmische Gesetztafeln, Jungmanns vermischte Schriften, Smetanas Physik, sind die Zierde der böhmischen Literatur, und ihre Nachfolger werden es nicht weniger seyn. Die Gesellschaft der Stalci für Abnahme aller rein wissenschaftlichen und classischen, in böhmischer Sprache erschienenen Werke, hat ihre Kräfte concentrirt und giebt sämmtliche Classiker des Auslandes in guten Uebersetzungen heraus. Beiden diesen für sich bestehenden Gesellschaften ist es nach den Umständen möglich, ihre Verlagswerke zu einem sehr niedrigen Preise auszugeben, was für eine junge Literatur, wie die unsrige, von höchster Wichtigkeit ist. Die Gesellschaft des heiligen Johannes des Täufers endlich verwendet ihre bedeutenden Capitalien ausschliesslich zur Veröffentlichung von religiösen und erbaulichen Schriften, besonders für das Volk, und weiss vermittelst der Geistlichkeit denselben eine ausserordentliche Verbreitung zu verschaffen (nicht selten in sechs und mehr Tausend Exemplaren). —

Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/167&oldid=- (Version vom 9.11.2019)