Seite:Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft 1 (1843).pdf/175

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

hervorbringen will, wie viel mehr hat man das in Ungarn zu befürchten, wo sich keine so selbstständige, freie Opposition erheben kann. ... Die Opposition der Slawen und hauptsächlich der Kroaten gegen den Magyarismus besteht ja nicht darin, dass man der Entwickelung des Magyarismus Schranken setzen wolle; nein, er bleibe nur in der Sphäre des Gesetzes, und wir werden ruhig und friedlich leben; aber was ungesetzlich ist und nie zum Gesetze im Sinne der reinen Vernunft werden kann, das ist und bleibt ewig ungerecht; Ungerechtes muss man aber nicht dulden!

 Die Magyaren handeln aber auch höchst unklug, denn sie bauen ihr neues Staatsgebäude auf vulkanischen Boden, der in seinem Schoosse eine Feuermasse beleidigter und unzufriedener Nationalitäten birgt. Wird die rächende Nemesis nicht aufstehen und das niederwerfen, was gottlose Hände aufbauten? Die Hauptidee der besten denkenden Talente ist die Nationalfehde geworden, alles übrige bleibe dieser Frage untergeordnet. Das wahre Glück des Staats wird beseitiget und nur in der magyarischen Sprache liegt alle Kraft, alle Grösse Ungarns. So ruft man, so schlägt man sich an allen Seiten um eine Nebensache, um einen Gegenstand, der nur ein Mittel zur Erlangung des höchsten Staatszweckes, nicht aber der Staatszweck selbst ist. Der Magyarismus kämpft auf einmal mit der Aristokratie, der Hierarchie und dem Patriotismus seiner Mitbürger; wenn das klug ist, so giebt es nichts Unkluges unter der Sonne!

 Die Magyaren bilden sich ein, Vorzug vor den übrigen Völkern Ungarns zu haben. Woher diese Einbildung, auf was beruht diese Arroganz? Ungarns Völker haben gleiche Rechte. Ihr Blut floss in Strömen für die Constitution, und was gethan und bezweckt wurde, wurde durch gemeinsames Wirken erzeugt. Wenn in Ungarn einem Volke der Vorzug gebührt, diesen könnte man entweder aus der numerischen Anzahl oder aus geistiger Uebermacht herleiten. In der ersten Hinsicht können die Magyaren kein Uebergewicht ansprechen, denn dass die Slawen zahlreicher sind, das ist klar. Im zweiten Punkte kann ebenfalls auf die Seite der Magyaren das Gewicht nicht fallen, denn die ersten Elemente einer besseren Institution lernten die Magyaren von den Slawen, die neuere Cultur aber haben sie einzig und allein den Deutschen zu verdanken.

 Die Hauptursache (Veranlassung) aller in Ungarn vorkommenden Wirren und Unordnungen ist einzig und allein der Fall der lateinischen Sprache. Es mögen sich hierüber alle Magyaren, Ultramagyaren, Pseudomagyaren und schlechten Kroaten wundern, ärgern oder schreien wie sie wollen, es bleibt doch wahr, dass die Magyaren gefehlt und das sehr gefehlt haben. Wie konnten die Magyaren aus ihrer lateinischen Vergangenheit plötzlich heraustreten und sich auf die politische Weltbühne im Ornate des Magyarismus stellen, ohne irgendwo Blössen zu zeigen? Was ist es, was der Magyarismus zu bieten hat? Keine Literatur, keine ausgebreitete Verzweigung, keine Sympathie, keine Biegsamkeit u. s. w. Der Magyarismus, als vorherrschendes Element in Ungarn angenommen, ist eine chinesische Mauer, die alle Communicationsadern mit der übrigen Welt abschneidet und die Magyaren in ihrem eigenen unpraktischen Magyarismus ersticken wird. Die Magyaren hätten den Latinismus, den Vater der ungarischen Constitution, nicht so leichtsinnig zu Grabe tragen sollen, um an dessen Stelle den Magyarismus, dieses unzeitige Kind ihrer schlecht bedachten Caprice, zu stellen. Diese That betrachten die magyarischen Ultras als einen gelungenen politischen Geniestreich, der die neue Magyaria auf den Gipfel der höchsten Grösse führen muss. Keine Sprache ist zweckmässiger, für die Umstände Ungarns passender als die lateinische, weil:

 I. Sie seit dem Beginn des ungarischen Staates im Gebrauche war; in sie ist der Geist der ungarischen Constitution eingepflanzt, – die lateinische Sprache ist das Original unserer Freiheiten, welches ohne Gefahr, ohne Verlust nicht copirt werden kann.

Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/175&oldid=- (Version vom 3.11.2018)