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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Bedeutung, verdient vielmehr die aufmerksamste Erwägung. Diese ist ihr in dem von uns zu besprechenden Buche geworden.

 Deutschland hat im allgemeinen der Entwickelung des slawischen Europa nur geringe Aufmerksamkeit gewidmet, theils einer ungehörigen Missachtung des Slawenthums sich hingebend, theils in Ermangelung genauerer Kenntniss des Ostens die lächerlichsten Urtheile der Ueberschätzung sich erlaubend. Ein getreues Bild des Wesens und der Bedeutung des Slawenthums hat noch kein Deutscher gezeichnet. Warf man einen flüchtigen Blick über die weiten Ebenen und Steppen des Slawenlandes, und wie der Dnjepr, die Wolga, die Dwina und hundert andere Ströme überall in ihrer ganzen Länge slawisches Land durchziehen und gleichermassen am Fusse der Alpen, Karpathen, wie des Urals Slawen siedeln, und dass man überall den slawischen Namen zu lieben beginne und überall ächter Slawe zu sein begehre; nahm man an, wie Argwohn empfahl, dass dieses neu sich bildende mächtige Volksthum eine feindliche Richtung gegen Westeuropa und namentlich gegen alles Germanenthum einschlage: so hatte man das Phantom des politischen Panslawismus, wie er in den deutschen Zeitungen herumspuckt und zum Schreckbilde, zu allerhand Diatriben gebraucht wird. Sahe man im Gegentheile in dieser ungeheuren Ausdehnung nur in sich selbst entzweite, durch das Band der Abstammung nur sehr schwach zusammengehaltene, in Sitte, Glauben, Mundart, Staatsverfassung überaus verschiedene, particuläre Nationalitäten, so kam man leicht, zumal man als Westeuropäer dies zu glauben sehr bequem fand, zu der Ueberzeugung, dass eine Vereinigung derselben nicht zu fürchten sei, dass niemals Ein Wille diese Massen zu einer That bewegen könne. Es ist kaum nöthig zu bemerken, dass beide Auffassungsweisen eben so falsch sind wie ihre Resultate.

 Deutschland, vorzüglich seit dem Anfange dieses Jahrzehends, verspricht das Land der Brochüren zu werden. Das ächtdeutsche Volksthum, eben erst erwacht und doch schon einer mächtigen Opposition Stand zu halten genöthigt, fördert die kleinen niedlichen Heftchen zu Dutzenden zu Tage. Die ungarischen Magyaren verwüsten manchen Bogen deutschen Papiers vergebens, um ihr freches Beginnen gegen alle nichtfinnische Nationalität in Ungarn vor dem deutschen Richterstuhle zu beschönigen. Endlich ist auch ein Slawe erschienen, um den Deutschen den Stand und das Leben des Slawenthums offen zu enthüllen.

 Dieser Slawe, als solchen kündigt er sich selbst in der Vorrede an, will „vom slawischen Standpunkte aus, aber möglichst frei von Vorurtheil und mit aufrichtigem Bestreben nach Wahrheit, den Zustand der slawischen Nation in der Gegenwart und ihre Hoffnungen und Aussichten für die nächste Zukunft schildern.“ Indess begnügt er sich damit noch nicht, vielmehr will er zugleich bestrebt sein, die Bedeutsamkeit des Slawenthums für Deutschland zu zeigen und eine Annäherung und ein Verständniss zwischen dem westlichen Slawenthum und dem Germanenthume zu ermitteln: „Deutschland soll von uns erfahren, was unser Ziel ist, und so jenes Verständniss herbeigeführt werden, was eben so wünschenswerth und nothwendig ist beiden Nationen, welche nun einmal bestimmt sind, neben einander zu wohnen.“ Dieses zu bewerkstelligen, betrachtet er die slawischen Völkerschaften 1) in ihrer nationalen Eigenthümlichkeit, sodann 2) in ihrem Verhältnisse als Glieder der vier osteuropäischen Mächte.

 Es erhellt zur Gnüge aus diesem Programm der ganzen Schrift, dass wir hier keineswegs einen Fortsetzer des Pentarchisten oder einen Geistesgenossen Gurowskis vor uns haben, wie jüngst in der Allgem. Augsburger Zeitung, man weiss nicht ob mehr aus Unwissenheit oder Böswilligkeit, versichert worden ist[1]. Die vorliegende Schrift hat im Gegentheile betreff ihrer Tentenz mit der Pentarchie und Gurowski’s Brochüre nicht nur nichts Gemeinsames, sondern sie ist geradezu als eine westslawische Entgegnung auf jene ostslawischen Demonstrationen anzusehen. Styl und Darstellung in den beiderseitigen Schriften sind nicht weniger


  1. Die A. Z. hat diese Versicherung in einer folgenden Nummer widerrufen. A. d. Red.
Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/190&oldid=- (Version vom 3.11.2018)