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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

diesen traurigen Zustand des Geisteslebens in den Ländern, welche das neue Illyrien bilden sollen, nämlich Chroatien, Slawonien, Istrien, Dalmatien, Serbien, Bosnien u. s. w., geschildert und bemerkt hat, dass früher gegen zwanzig Mundarten mit eben so viel verschiedenen unslawischen, den deutschen, italienischen, magyarischen Orthographien entnommenen Schreibweisen jeden kräftigen und allgemeinen Aufschwung von allem Anfang an niederhalten mussten, geht er auf die Entstehung und das rasche Aufblühen des Illyrismus über. Er schildert beredt und feurig, wie ein Mann (Gaj) durch sein Genie die ganze Scene verwandelt, indem er, allen Provincialismus und Particularismus zur Seite schiebend, auf Grund der alten glorreichen ragusanischen Glanzperiode ein neues Volksthum schafft. Er widerspricht dem nicht, dass Gaj mit richtiger Einsicht und praktischem Tact denjenigen südslawischen Dialect herausgewählt habe, welcher allein die Bedingungen zum Aufbaue eines grossen südslawischen Volksthumes in sich trägt, weil derselbe die Sprache der Mehrzahl jener Völker und zugleich die Centralmundart in geographischer Hinsicht ist, und - woran es den übrigen Mundarten so gut wie ganz fehlt - einen grossen Reichthum an Nationalwerken, vorzüglich in der Poesie besitzt, welche der neueren Literatur zur historisch-positiven Grundlage dienen und selbst aus dem Leben entsprossen, wieder befruchtend auf das Leben einwirken könnten - Vortheile, welche bei dem Mangel einer zur literarischen Dictatur berufenen Hauptstadt entscheidend sind, und welche weder die serbische, noch die chorwatische, noch die windische Provincialliteratur bei ihrer stets beschränkten, einseitig geistlichen Richtung in gleichem Maasse nicht gewähren. Er findet es sehr lobenswerth, dass Gaj alle jene barbarischen Alphabete verwarf und ihnen eine ächt slawische Schreibweise substituirte, deren Leichtigkeit und Einfachheit ihres Gleichen in Europa nirgend hat. Er berichtet, wie glänzende Ergebnisse der Illyrismus schon erzielt, wie feurigen Anklang er überall gefunden und noch findet - und gleichwohl wirft er sich zum Beschützer einer alten Particularität, des Serbenthums, auf, in einer Weise, wie dies kaum noch ein wirklicher Serbier je gethan. Er schreibt es „nur der bewundernden Verehrung, welche man den an der Spitze der illyrischen Bewegung stehenden Männern und ihrer ungemein kräftigen, eben so edlen und uneigennützigen als gefährlichen (?) Thätigkeit mit Recht zollen muss“, zu, warum gerade die edelsten, gelehrtesten und scharfsinnigsten Männer den ungeheuren Mangel übersahen oder unbeachtet gelassen haben, welcher in dem Illyrismus seiner Natur nach liegt. „Wenn eine alte Nation Jahrhunderte lang ein Volk gebildet, in ihren beständigen Wohnsitzen unter den mannigfaltigsten Verhältnissen zu einem immer höhern Grade der Kultur, des Volksglückes und der Macht sich emporgearbeitet, wenn sie eine Heimath, ein Vaterland sich errungen und dieses gegen jeden andringenden Feind mit ihrer ganzen Kraft bis auf den letzten Blutstropfen vertheidigt hat; so ist sie allmählig zur Kenntniss ihrer selbst gekommen, es hat sich das Erhebende eigenen Werthes, das stolze Bewusstsein ihrer Grösse und ihres Ruhmes herausgebildet, welches eine Nation sobald nicht wieder sinken lässt. Ein solches Bewusstsein seiner selbst hat nun jedes nicht ganz untergeordnete Volk Europas, und auf je niedrigerer Stufe der Cultur dasselbe steht (nachdem es einmal den Zustand roher Barbarei überwunden), desto stolzer und herausfordernder (?) pflegt es mit seiner Nationalität aufzutreten. Am wenigsten wird man ein solches Bewusstsein den Völkerschaften absprechen können, welche das „grosse Illyrien“ bewohnen. Aber aller Stolz eines Volkes, alle seine erhebende Begeisterung knüpft sich an den angebornen, angestammten Nationalnamen; mit diesem ist die Nationalität und die Nation selbst verwachsen, sein Glanz giebt ihr Glanz, sein Fall stürzt sie unrettbar in das Verderben. Der Nationalname ist das grösste Gut, die kostbare Perle, das einzige grosse Erbe, welches ein Volk aus jedem Sturme der Weltereignisse retten kann, ja retten muss, soll es nicht moralisch und physisch vernichtet sein. Und das haben die „Illyrer“ übersehen, oder wenigstens viel zu gering angeschlagen, und damit einen Fehler begangen, der ihnen

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/194&oldid=- (Version vom 2.12.2018)