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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

gebunden sei, dargestellt, ja nicht selten die Ansicht frei und offen ausgesprochen wird, die Kosaken müssten sich an die Polen anschliessen, um, wie ehedem, dem gemeinsamen Gegner mit Kraft Widerstand zu leisten. So schrieben Kraszewski, Grabowski und Przezdziecki Reisebilder, voll der wärmsten Schilderungen der Zustände und Sitten des Volkes in den ehemaligen Südostprovinzen Polens, und stellten den tiefgesunkenen Stand der Schlachta, die Verarmung des Bauern, und alle Schattenseiten, welche sie nur ohne offenbare Herausforderung berühren durften, mit den dunkelsten Farben dar.“ (S. 115.) „Wenn es Leute giebt, welche den grossen Einfluss dieser Schriften leugnen, so dürfte ihnen wohl nicht unbedingt beizustimmen sein; im Gegentheil scheint uns Adel und Volk bis auf diese Stunde noch ganz in dem geeignetsten Zustande, seiner Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Sachlage den Zügel schiessen zu lassen.“ (S. 117.) „Man sieht, der alte Geist der Kosaken ist noch nicht gänzlich ausgestorben, und dürfte bei guter Gelegenheit leicht wieder zum Leben zu wecken sein. Noch hallen die alten Kosakenlieder von Freiheit und Unabhängigkeit (bezpanstwo, Zustand, wo man ohne Herren, Grundherren ist), von Hass der Caren und Moskowiter von einem Ende Südrusslands zum andern, und je schwerer die Beamten und Vögte die Knute schwingen, mit desto tieferem Wehgefühl erschallen die herzzerreissenden Klagen ihrer Dumen. — Solch eine Stimmung ist in den ehemals polnischen Provinzen Russlands durchaus verbreitet, wie das bei jeder Gelegenheit sich zeigt. (Wir erinnern hier nur an die allgemein günstige Aufnahme, welche hier jedem polnischen Emissär aus Frankreich zu Theil wird, und an die endlose Verzweigung der Verschwörung, welche ein Konarski zu erregen im Begriffe stand.)“ (S. 118). Um diesen grossen Unterschied zwischen den Gross- und Kleinrussen noch mehr anschaulicher zu machen, wollen wir uns noch auf das citirte Werk von Schnitzler berufen, welcher sein Urtheil folgendermassen fällt: „Moins purs de race que ceux-ci (les Petites Russes) les Grands Russes leur sont inférieurs à plusieurs égards, sur tout par rapport au physique. Des institutions differentes ont aussi établi entre eux une démarcation morale, qui est égalément tout à l’avantage des Petites Russes, plus indépendens de caractères et plus pénétrés de la dignité individuelle de chacun. Chez ceux-ci l’élement slavon prédomine, tandis que chez les autres il est contrebalancé par l’élément finois, subordonné, il est vrai, au premier, qui l’absorbe de plus en plus, mais rappellant sa présence par des traits, qui malgré la fusion ne sont point effacés.“ (S. 33. 34.) — Wie sollte es denn bei einem solchen Stande der Sache möglich sein, aus diesen Stämmen einen Staat zu bilden? Wohl kann hierzu die Richtung der jetzigen grossrussischen Literatur den Anlass gegeben haben, aber man betrachte nur näher, wo die Civilisation in Russland liege; man findet sie nur in Petersburg, zum Theil in Moskwa, und in der Armee; die Regierung, welche aus meistens fremdartigen Elementen besteht, hat nie eine Richtung, einen Staat zu bilden — es bleibt nur immer eine Regierung, welcher alles blind unterliegen soll. —

 Wohl verzeihlich wäre eine solche Unkenntniss der Sache für Deutsche und Franzosen, denen die slawischen Dialekte unbekannt sind, und welche, von der Benennung „Russland“ getäuscht, schon im IX. Jahrhunderte der Politik Grossrusslands die Tendenz, Konstantinopel zu besitzen, zuschreiben (Les Cabinets et les peuples depuis 1815. jusqu’à la fin de 1822. par M. Bignon. Paris 1823.); aber die Slawen sollten mehr beflissen sein, den Grund der Sache zu erörtern, über welche sie ihr Urtheil fällen.

 Zuletzt wollen wir noch den Leser aufmerksam machen, wie der Verfasser den Illyrismus ansieht; er spricht von der Bemühung der südwestlich slawischen Provinzen, eine Literatur einzuführen und mehrere Stämme mit einem allgemeinen Namen „Illyrier“ zu bezeichnen; er führt das Urtheil Schafariks hierüber an, welches er selbst mit folgenden Worten beschliesst: „Die im Anfange des Jahres 1838 ausgesprochenen Ansichten Schafariks sind nun bereits recht schön in Erfüllung gegangen. Eine Reihe von Schriftstellern steht Herrn Gaj bei seinem

Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/207&oldid=- (Version vom 29.11.2019)