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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

5. Denkschrift des Oberpräsidenten Herrn Flottwell.

Ueber die Verwaltung des Grossherzogthum Posen, vom December 1830 bis zum Beginn des Jahres 1841, nebst dem demselben Seitens mehrerer Einwohner des Grossherzogthum Posen ertheilten Antwortschreiben. Strassburg.

 Ueber diese merkwürdige Schrift machten sich die verschiedenartigsten Ansichten kund, sobald es einmal in einem freilich nur engen Kreise und immer nur fragmentarisch bekannt geworden war. Die Bewohner des Grossherzogthums, welche dabei zunächst betheiligt waren, so wie die ganze polnische Bevölkerung Preussens, welche in demselben eine Darstellung der Grundsätze finden zu können glaubte, nach welchen ihre Nationalsache von der Regierung oder doch wenigstens von einem wichtigen Theile derselben behandelt wurde, waren höchst begierig auf das Aktenstück. Der polnischen Nationalpartei lag es besonders am Herzen, die Denkschrift in ihrem Urtexte zu bekommen. Auf welchem Wege diess geschehn, ist uns unbekannt; doch können die Schwierigkeiten nicht allzugross gewesen sein, denn das dem Hrn. Flottwell in Folge dessen ertheilte Antwortschreiben ist vom 19. Juni 1841 datirt, während die Denkschrift selbst am 15. März 1841 unterzeichnet ist. Wir überheben uns jedes Urtheils über dieses Buch und nehmen nur der Reihe nach die wichtigsten Sätze aus demselben heraus. I. Herr Flottwell versteht die der Verwaltung der Provinz gestellte Aufgabe dahin: „Ihre innige Verbindung mit dem preussischen Staat dadurch zu fördern und zu befestigen, dass die ihren polnischen Einwohnern eigenthümlichen Richtungen, Gewohnheiten, Neigungen, die einer solchen Verbindung widerstreben, allmählig beseitigt, dass dagegen die Elemente des deutschen Lebens in seinen materiellen und geistigen Beziehungen immer mehr in ihr verbreitet, damit endlich die gänzliche Vereinigung beider Nationalitäten als der Schluss dieser Aufgabe durch das entschiedene Hervortreten deutscher Kultur erlangt werden möge. Das Gesammtwohl des Staates macht die Verfolgung dieses Zieles zur Nothwendigkeit, und wenn dabei Erinnerungen und Gefühle eines Theils der polnischen Einwohner verletzt werden: so liegt die Beruhigung (?) hierüber in der Ueberzeugung, dass die Provinz dabei in allgemein menschlicher Hinsicht gewinnt (?) und dass die Geschichte allmählig alle (!) Völker aus den Schranken früherer und noch bestehender Trennungen solchen Umwandlungen und neuen Gestaltungen entgegenführt.“

 „Die schonendste Berücksichtigung aller — Eigenthümlichkeiten des polnischen Volksstammes — gebietet schon die Klugheit. — Am kräftigsten und zugleich willkommensten fördert die Zwecke des Staats die Sorge für die materiellen oder wenigstens von der Mehrzahl als materiell aufgefassten Interessen der Provinz (in der That sehr materiell gedacht). — Die Vermehrungen der Unterrichts- und Bildungsanstalten erschienen auch dem dunkeln Gefühl des Landmannes als eine wohlwollende Fürsorge der Regierung (wären die Anstalten zweckmässig genug, so hätte dieses dunkele Gefühl im Verlaufe eines Vierteljahrhunderts schon klar werden können!); mit der Zunahme seines materiellen Wohlgefühls und der Erweiterung seiner freien Thätigkeit begreift er immer mehr die Unentbehrlichkeit jener Anstalten und so öffnen sich der deutschen Bildung wie von selbst (so? hat nicht der Staat in dem polnischen Lande die Schulen deutsch eingerichtet?) immer mehr Zugänge zu dem Ideen- und Empfindungskreise der Einwohner. — So wie bei der allmähligen Beschränkung der wiederstrebenden Elemente jeder Schritt über die nächste Nothwendigkeit und Möglichkeit hinaus bedenklich erscheint, so ist jedes Schwanken in den Verwaltungsgrundsätzen verderblich. Denn bei den polnischen Einwohnern erregt es den Argwohn der Absicht, durch wirkliche oder scheinbare, freiwillige oder abgedrungene Nachgiebigkeit ihre Zuneigungen gewinnen, gleichsam erkaufen zu wollen. Was durch Bevorzugung der polnischen Einwohner erreicht wird, haben die Erscheinungen in dieser Provinz während der Revolution im Königreiche Polen gezeigt; diese selbst (!) hat gelehrt, dass den unzufriedenen Theil der Einwohner keine Zugeständnisse oder Begünstigungen

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/220&oldid=- (Version vom 12.12.2019)