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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

befriedigen, weil eine vollkommene, unbeschränkte, nationale und politische Selbstständigkeit verlangt wird. (Welches mögen wohl die Zugeständnisse und Vergünstigungen der Polen gewesen sein?) Des Gouvernements würdig (wir glauben ganz unwürdig, weil Täuschung) und desshalb angemessen (d. i. politisch klug) erscheint es mir dagegen, offen den Grundsatz auszusprechen und zu befolgen, dass die Provinz dem deutschen Elemente keineswegs verschlossen, dass sie vielmehr ihm, als dem Lebenselemente des Staats und schon eines guten Drittheils der Provinz selbst, geöffnet, und dass seine Ausgleichung mit dem Polnischen ohne Eingriffe ungerechter Willkühr dem Entwickelungsprocess der Geschichte überlassen werden soll. — Allerdings wird eine solche Offenheit der Landesregierung nicht die Neigung der jetzt ihr widerstrebenden Einwohner gewinnen, — dagegen werden diejenigen Maassregeln nur zum Ziele führen, welche allen Einwohnern derselben Achtung abnöthigen, und diese wird nicht gewonnen, wenn die Vermuthung entstehen kann, die Regierung verfolge Zwecke, welche offen auszusprechen ihr der Muth fehle.

 Entschieden feindselig steht dem Gouvernement der grössere Theil des katholischen Clerus und des polnischen Adels entgegen. — Im Allgemeinen fehlt den katholischen Geistlichen sowohl alle feinere gesellschaftliche, als eine gründliche gelehrte Bildung. — In der That geniessen die Geistlichen in den untern Volksklassen nur ein sehr bedingtes Ansehn. Innerlich zu träge und von aussen, zumal in ihrer nächsten Umgebung, zu wenig angeregt, überdiess in der Mehrzahl geneigt zu sinnlichen Genüssen, welche dem Volke nicht verborgen bleiben, bemühen sie sich selten, durch wahrhaft treue Erfüllung aller ihrer Pflichten als Seelensorger und Aufseher der Schulen, die Achtung ihrer Gemeinden zu gewinnen. Dagegen richten sie, enlblösst von jedem höheren Interesse, ihre Neigung zu Intriguen und ihren Hass gegen das Gouvernement, von welchem die Bildung des Volkes ausgeht, und von welchem ihre eigene Bildung gefordert wird. Um aber für diesen Widerwillen gegen die weltliche Behörde und gegen alle geistlichen Fortschritte einen breitern Stützpunkt zu gewinnen, kleiden sie ihn in die Farbe der polnischen Nationalität, und vertheidigen hartnäckig und mit allen Künsten und Waffen scheinbar die Seele des Volks, während sie nun sich und ihrem Stande die Prärogative[1] einer alten Zeit wieder gewinnen möchten. Ich habe daher — durch eine angemessene wissenschaftliche Ausbildung der jungen Theologen dieser Richtung und Gesinnung (!) entgegen zu wirken getrachtet.“ — Auf seine Vorschläge ist durch die Ordre vom 31. März die Sekularisation der sämmtlichen Klöster der Provinz und die Verwendung der hieraus zu gewinnenden Einkünfte und einer jährlichen Unterstützung von 21,000 Thlrn. aus der Staatskasse „zur Verbesserung des Schulwesens und der Bildungsanstalten für die katholische Geistlichkeit“ anbefohlen worden (also nicht weil es die Bedürfnisse des Volkes und der geistige Zustand des Clerus erheischte, sondern um seinen antigermanischen Einfluss zu hemmen und so wieder ein Hemmniss der Entnationalisirung aus dem Wege zu räumen). Es sind zwei neue Gymnasium, ein katholisches Schullehrerseminar und zwei Alumnate für katholische Theologen gegründet und die katholischen Anstalten in Posen und Chowen gänzlich umgestaltet worden. — „Der grössere Theil der vorher bezeichneten Anstalten hat seinen wissenschaftlichen Zwecken bisher entsprochen; wie weit sie dazu beitragen werden, eine festere Anschliessung der Provinz an den preussischen Staat zu begründen und zu befördern, muss man erwarten.“ (Der damalige Herr Oberpräsident versteht unter dieser Anschliessung natürlich die Germanisirung und sieht es als eine Pflicht der Dankbarkeit der katholischen Geistlichkeit an, dass sie ihre Nation verrathe). Die nächste Einwirkung des Clerus hat sich auf die polnischen adeligen Frauen und auf die Erziehung der adeligen Jugend erstreckt, deren letzterer „verderbliche Richtung“ zu Tage liege. Unter den polnischen Gutsbesitzern und Edelleuten unterscheidet Herr Flottwell 1) die Bejahrten und Reichbegüterten, welche der Regierung geneigt sind, aber zu wenig Muth haben, dies zu zeigen; 2) diejenigen, welche „an der

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 210. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/221&oldid=- (Version vom 13.12.2019)
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