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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Handel; dann ein persönlicher Ausfall Kossuths gegen Maithstein, welcher uns einen Begriff gibt, was für eine Sprache dieser berühmte magyarische Held, der Verräther seiner angeborenen Nationalität, zu führen gewohnt ist. — Nr. 113. Noch ein Artikel über die Eisenbahn nach Fiume. — Nr. 114. Nachrichten über Excesse bei den Comitatswahlen in Ungarn, welche die Comitatsverfassung dieses stürmischen Landes von ihrer traurigsten Seite darstellen. Beilage: Bericht über „Palacky’s Geschichte von Böhmen.“ 3 Bände. Der Ref. deutet auf die deutsche Geschichtsforschung und ihre Früchte hin und fährt dann fort: „Auch die slawischen Länder geben Zeugniss von diesen Einflüssen deutschen Strebens, und so gern sich der moderne Slawismus als abgeschlossene Nationalität dem Germanenthum gegenüberstellt, so wenig ist es seiner Wissenschaft, zunächst seiner Geschichtsschreibung gelungen, sich von den germanischen Einflüssen völlig zu emancipiren. Insofern war uns Palacky’s böhmische Geschichte eine sehr interessante Erscheinung; der Verf. ist böhmisch, sehr gut böhmisch gesinnt; die deutsche Geschichtsforschung muss manche bittere Pille verschlucken, weil sie beim Conflikt beider Interessen bisweilen lebhafter sich fürs Deutsche erklärte als fürs Slawische, oder weil sie einen Fürsten in germanischem Sinne schlecht nannte, den der Slawe unbeschadet für gut halten kann. Der individuelle Charakter stellt sich auch in Unbedeutendem sehr schroff und oft feindselig dem deutschen entgegen; allein dessen ungeachtet ist der Verf. in Inhalt und Form ein Kind der deutschen Bildung, und so imponirend uns der böhmische Patriotismus die Spitze bietet, wir finden allenthalben nur die Frucht deutscher Studien, ein Erzeugniss deutscher historischer Kunst. Weit entfernt, dieses Zwiespältige einer slawischen Nationalität und einer fremden Sprache und Bildung tadeln zu wollen, wünschen wir allen deutschen Historikern eine so kräftige und bestimmte Liebe zu dem Ihrigen, wie Palacky für das Seinige sie besitzt und den Deutschen sie zuzutrauen scheint; der Gesammteindruck eines historischen Werkes würde ein ganz anderer sein, als er bei der allumfassenden kosmopolitisch verschwimmenden überzeugungslosen Mehrzahl unserer Geschichtsschreiber zu sein pflegt.“ Die Darstellung der alten Zustände in Böhmen wird sehr gelobt; die Kämpfe mit den Karolingern und ihren Vorgängern schildert uns der Verf. mit überlegener Kenntniss deutscher und böhmischer Quellen. Interessante „Aufschlüsse“ gibt seine Schilderung des böhmischen Volkslebens im Heidenthume. Charakteristisch sei die „rein apologetische Stellung“ Palacky’s den deutschen Geschichtsschreibern gegenüber, die immer entschiedener hervorträte, je weiter deutsche und böhmische Interessen anfingen, sich feindlich zu werden. Ganz anders erscheine bei dem böhmischen Historikern Rudolph von Habsburg und Ottokar der II. von Böhmen. Palacky rücke den deutschen Historikern ihre Sünden an Ottokar vor und halte dem „Heere althergebrachter Lügen“ seine richtigere Zeichnung entgegen. Der Glanzpunkt des Werkes sei die Darstellung Carls des IV., welche die wohlthätigen Leistungen dieses Monarchen in den hellsten Farben der Wahrheit schildert. So habe Palacky „ein Recht darauf stolz zu sein, die inneren Zustände seines Vaterlandes ganz anders aufgehellt zu haben, als es der oberflächlichen Kenntniss ausländischer Historiker möglich gewesen.“ Im Ganzen aber wird ihm Ueberschätzung seiner slawischen Nationalität vorgeworfen, und er, bei seiner vorwaltenden nationalen Tendenz vielfacher Uebergriffe gegen das Deutschthum beschuldigt. Der Bericht schliesst dann: „Von diesem Gesichtspunkte aus war uns Palacky’s Werk, wissenschaftlich eine der bedeutendsten Erscheinungen des modernen Slawismus, vielfach interessant; nicht die gediegene Forschung, die gewandte und anziehende Darstellung wollten wir dem deutschen Publikum empfehlen, wir wollten hauptsächlich auch zeigen, welche Anmuthungen uns eine Nation thun kann, die es noch nicht einmal so weit gebracht hat, für ihre wissenschaftliche Thätigkeit ihre eigene Nationalsprache allgemein gebrauchen zu können (?). Man borgt unsere Bildung, unsere Sprache sogar, und dann hofmeistert man auf gut kosmopolitisch die Aeusserungen der deutschen vaterländischen Gesinnung. Palacky ist Böhme, denkt und schreibt als Böhme; gut. Warum sollen wir nicht Deutsche sein, als Deutsche denken, schreiben — und handeln dürfen?“ — Nr. 119. 120 u. 121 ist Paget’s Reise von Pesth nach Fiume mitgetheilt. Nr. 124 wird „auf die kaum besiegbaren Hindernisse“, in Posen eine Universitätsstadt zu gründen, folgendermaassen hingewiesen: „Abgesehen davon, dass der preussischen Regierung besonders daran gelegen sein muss, dass die jungen Polen dieser Provinz eine deutsche (aber um Gotteswillen keine nationale) Bildung erhalten, damit sie für den Staatsdienst verwendbar werden (was nach des Correspondenten Ansicht natürlich erst möglich wird, wenn sie eine blos deutsche, dem Polonismus ganz fremde, ja wo möglich feindselige Bildung und Gesinnung erhalten), würde der Staat enorme Summen bewilligen müssen, ohne welche hier eine Universität nicht ins Leben gerufen werden könnte (wie aber, wenn der polnische Patriotismus diese Summen herbeischaffte?). Gesetzt aber, die Regierung wäre geneigt, in das Project einzugehen, so könnte diese Universität doch nur für die jungen Polen dieser Provinz berechnet sein, denn aus dem Königreich Polen und aus Galizien wäre schwerlich ein Zufluss zu erwarten (wer kann das behaupten? wie leicht könnte Russland plötzlich den Besuch dieser Universität gestatten; und Oesterreich lässt seine slawischen Jünglinge aus Ungarn auch die deutschen Universitäten besuchen). Wie gross

Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/247&oldid=- (Version vom 11.1.2020)