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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

ist nun aber diese Zahl der jungen Polen, die alljährlich die Universität beziehen? Vielleicht 60 bis 70. (Leider wahr, aber worin liegt der Grund? Wohl nur eben in dem Mangel einer polnischen Universität, um dessentwillen so viele junge Polen sich den höheren Studien theils nicht widmen wollen aus nationeller Abneigung, theils nicht können, weil sie voraus sehen, dass sie einen entsprechenden Nutzen von dem Besuch einer deutschen Universität nicht haben). Woher sodann die Professoren nehmen? Wenn von einer Universität im deutschen Sinne des Wortes die Rede sein soll, wo sind die nöthigen Lehrer zu finden? Aus Polen wird man sie doch wohl nicht kommen lassen, und ebenso wenig aus russisch Litthauen, wo vielleicht noch einige tüchtige Literaten aufzutreiben wären (ganz consequent; denn in Berlin concentrirt man die besten Kräfte der deutschen Wissenschaft aus Nord und Süd, aus Ost und West; aber mit den Polen ist es doch eine ganz andere Sache). Noch viel weniger aber aus Paris und Belgien, wo die Koryphäen der polnischen Literatur zur Zeit in der Verbannung leben (denn man muss diesen Freiheitsmännern ihre wohlverdiente Strafe von 1831 gehörig abbüssen lassen). Auch aus Krakau könnte die neue Hochschule sich nicht rekrutiren, indem die dortigen Lehrer für wenig Arbeit sehr gut bezahlt sind und daher schwerlich geneigt sein würden, ihre Quasi-Sinecuren aufzugeben. Also wäre man auf die Gelehrten im hiesigen Grossherzogthum beschränkt. Deren Zahl aber ist nicht gross, und von den vorhandenen eignet sich wohl auch nur der kleinste Theil für einen akademischen Lehrstuhl. Das hiesige katholische Priesterseminar, das man zu einer solchen Fakultät zu erweitern beabsichtigt, hat bisher keine Lehrer von polnischer Zunge finden können, und ist daher ganz mit deutschen Lehrern besetzt. (Das „Können“ erleidet wohl hier eine theilweise Interpretation durch „Wollen und Dürfen“). Noch schlimmer würde es mit einer evangelisch-theologischen Facultät aussehen. Unter den hiesigen Juristen, welche entweder Polen sind oder doch fertig polnisch sprechen, sind viele unbezweifelt tüchtige Männer, aber sie sind insgesammt praktische Juristen und qualificiren sich darum wohl schwerlich für den Katheder. Nur für die philosophische Fakultät würden vielleicht einige brauchbare Männer zu gewinnen sein; so für die Philosophie im engern Sinn Trentowski, für die Mathematik Libelt, für classische Philologie Trojanski und Wannowski, und für slawische Literatur Cybulski. Dazu wären noch einige vielversprechende junge Männer zu rechnen, die mit der Zeit etwas Tüchtiges leisten können. — Nr. 125 u. ff. „Russland und der Panslawismus“, ein Bericht über einen Artikel des polnischen Grafen Jablonowski, worin er bei der Besprechung des Adelsbuches vom Fürsten Dolgoruki Folgendes äussert: „Das Misslingen der letzten Revolution, Europa’s Gleichgültigkeit für das Loos Polens, die Grösse einer Idee, welche die Familie Romanow so geschickt war, unter den Auspicien des Liberalismus und der Poesie zu verbreiten — mit einem Worte die Grösse der slawischen Frage — dies Alles dämpft in Polen den Aufschwung eines Patriotismus, der im Fall ist, sich modificiren zu müssen, denn eine edlere und umfassendere Idee hat ihn bewältigt.“ Allerdings ist der Panslawismus eine umfassendere Idee, aber keine edlere; denn er schliesst den Patriotismus der einzelnen Nationalitäten keineswegs aus, sondern macht ihn vielmehr zur Hauptbedingung, und darum ist es falsch, dass das Haus Romanow der ächte Repräsentant des Slawenthums sei, denn es erkennt die anderen Nationalitäten nicht als selbstständig an; darum ist es falsch, dass die Polen in Frankreich „gleichsam nur den Kern eines entarteten, unslawisch gewordenen Polens“ bilden; sie haben es nur noch nicht erkannt, dass die slawische Idee über der polnischen steht, und trotzdem die polnische nicht absorbirt, sondern vielmehr vollkommen entfaltet und in Geltung gebracht wissen will. Anders werde über die Stellung des russischen und polnischen Adels in der Schrift: „Slawen, Russen und Germanen“ geurtheilt, welche „trotz aller Anerkennung, die sie Russland zollt, die Idee einer Anschliessung der Westslawen an das nordische Kaiserreich weit von sich weist, und für diese wie für die Südslawen nur Heil sieht, wenn Oesterreich bis nach Bulgarien hin über sie den Schutz oder die Macht übe, die ihm über sie in natürlicher Weise zukomme.“ Nun werden mehrere und zwar „die prägnantesten“ Stellen aus dem Buche mitgetheilt, und vielfach näher gewürdigt. — Nr. 128. Ueber die Resultate der Comitatswahlen in Ungarn und die dabei vorgefallenen Excesse. Dann aus Bosnien eine Darstellung der fürchterlichen Lage der Christen daselbst. Die Gräuel und Grausamkeiten der einzelnen Beys und des Wessirs von Mostar übersteigen alle Vorstellungen. — Nr. 130 wird die Correspondenz zwischen dem russischen und türkischen Hofe über die serbische Frage mitgetheilt. — Nr. 132. Eine wichtige Verhandlung des englischen Oberhauses über dieselbe Frage. — Nr. 133. Fortgesetzte Berichte über die Comitatswahlen in Ungarn. — Nr. 136 werden die vorzüglichsten Reformmaassregeln und Gesetzesvorschläge der Comitate in Ungarn folgendermaassen zusammengestellt: Aufhebung der Avicität und Majorate, Verleihung des Besitzrechtes und der Befähigung für alle Staatsämter auch an Nichtadlige, die gezwungene Ablösbarkeit der Urbariallasten (versteht sich nach dem Schätzungswerth, während bis jetzt zur Ablösung die Einwilligung des Grundherrn erforderlich ist und der Betrag der Ablösungssumme durch gegenseitiges Uebereinkommen bestimmt wird), Organisation und Verbesserung des Volksunterrichts, Reform der Städteverfassung

Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/248&oldid=- (Version vom 12.1.2020)