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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

haben Ursache zu glauben, dass die erleuchtete Staats-Regierung, wenn einerseits das Publikum eine würdige und tadelfreie Haltung beibehält, auch andererseits die Grenzen ihrer Humanität noch erweitern und aus aller Macht dazu beitragen wird, jeden Gegensatz zu verwischen.

 Wir haben eine lobenswerthe Censur, die, soweit sie an Persönlichkeiten geknüpft ist, dem Fortschritt die schönsten Garantien verheisst, und wenn mitunter eine etwas rigorösere Nachcensur der Polizei erfolgt, welche freilich etwas zu eifrig in Ausübung ihres Amtes ist (z. B. jedesmal eine Biographie und Nachweis des Aufenthalts des betreffenden Schriftstellers, welches Beides zu geben manchmal unmöglich ist), so gehört diese Art der Beschränkung zu den Ausnahmen.

 Man spricht seit dem Landtage wieder mehr als sonst von Errichtung einer polnischen Universität in Posen. Es wäre neben der ohnmächtigen Krakauerin die einzige. Preussen würde durch diesen Schritt den Dank des ganzen Slawenthums verdienen. Der Umfang, welchen man dieser Universität zu geben gedenkt, würde ganz ihrem Zwecke entsprechen. Sie soll nur aus zwei Facultäten, einer philosophischen und einer theologischen bestehen. Es muss uns vor allen Dingen um eine gute katholische Geistlichkeit zu thun sein, und hier scheint das Mittel für diesen Zweck gefunden. Die Seminarien geben eine einseitige, orthodoxe Bildung, und die Gymnasien sind immer mehr auf dem Wege, sich in Klosteranstalten zu verwandeln. Sie werden dadurch die Orte der Hypocrysie und Gottlosigkeit. Der brodlose Studirende, den der Clerus in seine Suppenanstalt aufnimmt, heuchelt so lange, wie er durch seinen Magen dazu genöthigt wird, — nachher geräth er in Kampf mit seinem Gewissen und wird unglücklich. Eine gesunde, freie, klassische Bildung thut vor allen Dingen Noth.

 Eine wahre Religiosität ist die Grundlage und der Zweck aller Bildung, aber jene muss zum Leben, nicht aus demselben heraus führen, sie muss nicht krank, sondern gesund machen, nicht schwachköpfig, sondern muss das Talent mehren. Eine Universität, ein Trentowski, ein Libelt auf den Kathedern würden unsere Provinz bald dem Berufe nähern, den sie in geistiger Beziehung rücksichtlich Polens haben soll.

 Ebenso unumgänglich nothwendig, wie die Abstreifung des Pietismus, ist andererseits die Abwendung der Gefahren des Unglaubens, der eine grosse Schaar in sein bequemes Netz gezogen hat. Es müssten diesem tiers état der Intelligenz die Wahrheiten des Christenthums, die er sich nicht enträthseln kann, und darum negirt, aufgedeckt werden, und er würde nicht glauben, sondern begreifen. Heute giebt’s nur zwei Dinge, starren Glauben und frivole Gleichgültigkeit. Die Versöhnung dieser beiden Gegensätze muss vom Clerus ausgehen; um sie aber zu Stande zu bringen, muss er erst in’s Bad der Wissenschaft steigen.

 Als Organ für den modernen Unglauben hat sich am deutlichsten der „Posener Tygodnik“ documentirt, dessen Redaction Behufs Verbreitung dieses „freisinnigen Christenthums“ noch ein besonderes Journal unter dem Titel „Lech“ in’s Leben rufen wollte. Sie scheint indess auf Hindernisse gestossen zu sein, und wenn ich nicht irre, so hat die Tendenz der ersteren Zeitschrift die Gewährung der Concession zur zweiten vereitelt.

 Eine Zeitschrift, deren Hauptstützen angehende Studenten sein sollten, konnte dem Christenthum wohl auch so wesentliche Dienste nicht leisten. Ueberhaupt wird die Religion in Zeitschriften neben der Belletristik und Tagesmosaik wohl immer nur einen precären Platz einnehmen. Deshalb hat unser „Orędownik“ sehr recht gethan, dass er ausdrücklich an den Tag gelegt, wie er der theologischen und politischen Polemik niemals seine Spalten öffnen werde. Das Christenthum lässt sich nicht wie eine Novelle recensiren, das möge dem demokratischen Schriftstellerthum einleuchten, worunter es meines Wissens keinen Abbé de la Menais giebt, der im Stande ist, sich einen demokratischen Katholicismus zu construiren.

 Geeigneter für die Aufnahme theologischer Ansichten scheint der seit diesem Januar in zwanglosen Lieferungen erscheinende „rok 1843“ zu sein, weil sich in dieser Zeitschrift nur Männer von anerkannter Tüchtigkeit hören lassen. Die Herrn Moraczewski, Libelt, Węžyk, Cybulski, Cieszkowski und Trentowski sind neben Andern bisher darin aufgetreten; die theologische Debatte soll jedoch ebenfalls vermieden werden. Man ist der Ueberzeugung, dass der Positivismus in Polen gegenwärtig den Sieg behalten müsste, und scheut gewissermaassen die Polemik, welche nur zu leicht ihren Gegenstand vergisst und ihn nicht immer fördert. Man ist sehr gespannt auf Trentowski’s neue Logik, weiche in polnischer Sprache erscheint und jedenfalls die idealistisch-realistischen Ansichten seiner „Chowanna“ in Consequenz und Genauigkeit darlegen wird.

 Um schliesslich noch ein Wort von unserm Theater zu sagen, füge ich hinzu, dass wir in der Folge wohl allsömmerlich eine polnische Truppe neben der deutschen sehen werden. Die materiellen Rücksichten werden in diesem Jahre darüber entscheiden. Es wäre wünschenswerth, dass sich die Gesellschaft hielte. An Empfänglichkeit scheint es nicht zu fehlen, da für die Gesellschaft bedeutende Geldopfer gebracht worden sind, die ihr leider! nicht alle zu gute kommen. Die Gesellschaft ist behufs einer Kassenspeculation von der deutschen Direction gedungen. Indessen trägt auch diese dramatische Miniaturkunst dazu bei, unsere Stadt immer mehr zum Centrum der Provinz zu machen und die Tendenzen jeder Art zu beleben.

A. M.


Druck von J. B. Hirschfeld in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/253&oldid=- (Version vom 8.4.2023)