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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

dass er ein ähnliches tour de force der sich bäumenden Phantasie nicht zu Ende führen mochte. Die Tragödien Lomonosow’s ähneln seinem Epos. Sumarokow erscheint in allen Formen, um mit Monsieur Voltaire auf gleichem Fusse zu stehen, und zeigt sich in allen Formen gleich talentlos. Aber man dachte damals über die Poesie anders als jetzt, und bei der unwiderstehlichen Schreibsucht und der zerfleischenden Eigenliebe wurde es schwer, nicht ein grosses Genie aus sich zu machen. Die Zeitgenossen waren wie von Sinnen für Sumarokow. So sagt einer der hervorragendsten und verständigsten Männer aus der Zeit Katharina’s, Nowikow, in seinem „Versuch eines historischen Lexicons der russischen Schriftsteller“ Folgendes: „Durch poetische und prosaische Werke der verschiedensten Art hat er (Sumarokow) sich einen grossen und unsterblichen Ruhm erworben, nicht nur von Seiten der Russen, sondern auch von fremden Akademien und von den berühmtesten europäischen Schriftstellern. Und obgleich er der erste unter den Russen, anfing, Tragödien nach allen Regeln der dramatischen Kunst zu schreiben, so hat er hierin doch so viel geleistet, dass er den Namen des russischen Racine verdiente. Seine Eklogen werden von Kennern den virgilischen gleichgestellt und blieben bis diesen Augenblick noch unerreicht; seine Allegorien aber gelten für einen Schatz des russischen Parnasses; in dieser Dichtungart lässt er Phädrus und de la Fontaine, die berühmtesten Männer in dieser Hinsicht, weit hinter sich. Uebrigens werden alle seine Werke von den Liebhabern der russischen Dichtung sehr hoch geachtet. S. 207—208.“[WS 1] Solche Lobeserhebungen Sumarokow’s sind gegenwärtig in der That lächerlich; aber sie haben ihre Bedeutung und ihren Grund; denn sie thun dar, wie wichtig, nützlich und werthvoll für den Fortschritt der Literatur jene kühnen und unermüdlichen Handarbeiter sind, welche in der Einfalt ihres Herzens ihre Leidenschaft, Papier zu verwüsten, für ein grosses Talent halten. Bei aller seiner Talentlosigkeit hat Sumarokow doch sehr viel beigetragen, die Lust zum Lesen und besonders die Liebe für das Theater in Russland zu verbreiten. Die Zeitgenossen sind stolz auf solche Männer, indem sie sie in ihrer Herzenseinfalt als Genies bewundern. Hören wir noch, was derselbe Nowikow von Tredjakowski sagt: „Dieser Mann besass einen grossen Verstand, viele Gelehrsamkeit, ein ausgebreitetes Wissen und einen beispiellosen Fleiss; er war sehr bewandert in der lateinischen, griechischen, französischen, italienischen und in seiner Muttersprache; auch in der Philosophie, in der Gottesgelehrtheit, der Wohlredenheit und den übrigen Wissenschaften. Durch seine nützlichen Werke erwarb er sich unsterblichen Ruhm; er setzte, der erste in Russland, die Gesetze der neuen russischen Verskunst auf, verfasste viele Bücher und übersetzte deren noch mehrere, ja so viele, dass es fast unmöglich erscheint, dass die Kräfte eines einzelnen Menschen dazu hinreichten; denn die einzige alte Geschichte von Rollin übersetzte er zweimal . . .

 Ueberdies muss man zu seiner Ehre noch sagen, dass er, der erste in Russland, den Weg zur Sprachwissenschaft und hierauf zur Versbaukunst entdeckte; dabei war er der erste Professor, der erste Dichter und der erste Uebersetzer so zahlreicher und nützlicher Bücher. S. 118—119.“[WS 2]

 Nicht ohne Absicht citiren wir diese Stellen; das Zeugniss der Zeitgenossen, als ein jedesmal partheiisches, kann keineswegs als Beweis der Wahrheit noch als letzte Antwort auf die Frage gelten; aber man muss es jedesmal berücksichtigen, wenn man über einen Schriftsteller urtheilen will; denn dasselbe enthält allemal einen besonderen Theil von Wahrheit, welcher der Nachkommenschaft häufig unzugänglich ist.

 Einen grossen Ruhm genossen bei den Kennern und Freunden der Literatur jener Zeit vier Schriftsteller aus der Schule Lomonosow’s: Popowski, Cheraskow, Petrow und Kostrow. Popowski verdankt sein grosses Bekanntsein zu jener Zeit dem freundlichen Worte Lomonosow’s über den von ihm in Versen übersetzten: „Versuch über den Menschen“ Popes. Nowikow sagt über denselben: „Den Versuch

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Im Original: Различныхъ родовъ стихотворными и прозаическими сочиненїями приобрѣлъ онъ себѣ великую и безсмертную славу не только отъ Россїянъ; но и отъ чужестранныхъ Академїй и славнѣйшихъ Европейскихъ писателей. И хотя первый онъ изъ Россїянъ началъ писать трагедїи по всѣмъ правиламъ театральнаго искуства; но столько успѣлъ во оныхъ, что заслужилъ названїе сѣвернаго Расина. Его Еклоги равняются знающими людьми съ Виргилїевыми, и поднесь еще остались неподражаемы; а Притчи его почитаются сокровищемъ Россїйскаго Парнасса; въ семъ родѣ стихотворенїя далеко превосходитъ онъ Федра и де ла Фонтена, славнѣйшихъ въ семъ родѣ. Впротчемъ всѣ его сочиненïя, любителями Россïйскаго стихотворства, весьма многопочитаются: ... Quelle: Опытъ историческаго словаря о россïйскихъ писателяхъ, собралъ Николай Новиковъ, въ Санктпетербургѣ 1772 года, стр. 207—208
  2. Im Original: Сей мужъ былъ великаго разума, многаго ученïя, обширнаго знанïя, и безпримѣрнаго трудолюбïя; весьма знающъ въ Латинскомъ, Греческомъ, Французскомъ, Италïянскомъ и въ своемъ природномъ языкѣ; также въ Философïи, богословïи, краснорѣчïи и въ другихъ наукахъ. Полезными своими трудами приобрѣлъ себѣ безсмертную славу; и первый въ Россïи сочинилъ правилы новаго Россïйскаго стихосложенïя, много сочинилъ книгъ, а перевелъ и того больше, да и столь много, что кажется невозможнымъ, чтобы одного человѣка достало къ тому столько силъ; ибо одну древнюю Ролленову исторïю перевелъ онъ два раза ... При томъ не обинуясъ къ его чести сказать можно, что онъ первый открылъ въ Россïи путь къ словеснымъ наукамъ; а паче къ стихотворству: при чемъ былъ первый Профессоръ, первый стихотворецъ, и первый положившïй толико труда и прилѣжанïя въ переводѣ на Россïйскïй языкъ преполезныхъ книгъ. Quelle: Опытъ историческаго словаря о россïйскихъ писателяхъ, собралъ Николай Новиковъ, въ Санктпетербургѣ 1772 года, стр. 218—219
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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/278&oldid=- (Version vom 22.11.2019)