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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

VII.
Miscellen.

 Die Ukraine. Inmitten der Reiche der Mongolen und Türken, des Russinenlandes u. Polens, liegt ein Landstrich mit schwankenden Gränzen, sehr anziehend für die Geschichte und Literatur. Von der untern Donau, beinahe von Belgrad ab, erstrecken sich einerseits rund um den Fuss der Karpathen herum, andererseits am schwarzen Meere hinter dem Dniepr und Don bis nach dem Kaukasus hin breite Steppen. Dieser unermessliche Raum ist schwer mit einem Namen zu bezeichnen. Verschiedenen Theilen dieses Landes geben die Alten den Namen Kleinscythien, die Russinen das kleine Russinenland, die Polen suchen bis dorthin die Grenzen von Kleinpolen. Ein grosser Theil dieses Landes trägt den Namen Ukraina, d. h. das Land, das da angrenzt. Eine menschenleere Wüste, zuweilen besetzt und dann wieder von Einwohnern entblösst, aber immer fruchtbar und mit üppigem Unkraut bedeckt, diente sie seit Jahrhunderten den durchziehenden Barbaren zur Pferdeweide. Es ist dieses die grosse Ader, welche Europa mit der Fläche Mittelasiens verbindet; hierdurch ergoss sich das asiatische Leben nach Europa, hier berührten sich die beiden Welttheile. Zugvögel, wandernde Insekten, die Pest und die Raubhorden ziehen durch diesen Erdgürtel. Die Völker, welche eine Schranke gegen die Einbrüche stellen, oder die sich mit einander messen wollten, begegneten sich auf diesem neutralen Boden, auf dieser allgemeinen Wahlstätte. Hier bekämpften sich die Kriegsheere des Ostens und Westens in den Armeen des Cyrus und Darius, des Russinenlandes und Polens. Hier entspross das kriegerische Volk der Kosaken, zusammengeschmolzen aus Slawen, Tartaren und Türken. Die Kosaken reden die kleinrussinische Sprache, eine Mittelsprache zwischen der polnischen und der russischen; sie gingen abwechselnd unter die Oberherrschaft der Polen und Russinen über, zuweilen ergaben sie sich den Türken; ihre Literatur wechselte Sinn und Gestalt, je nachdem der polnische oder ruthenische Einfluss überwog. Diese Literatur besingt die Vorzüge der Heerführer, den Ruhm der Ritter und am Ende ihre Liebschaften; ihren Hauptcharakter macht die Lyrik aus. Die Flächen der Ukraine sind der Sitz der lyrischen Poesie. — Von hieraus haben Lieder unbekannter Dichter häufig das ganze Slawenthum durchzogen. Der Kosak, neben der Erd- oder Rohrhütte sitzend, lauscht in Schweigen seinem unfern grasenden Pferde, er lässt seinen Blick in der grünen Steppe herumschweifen, und sinnet, träumend über die Kämpfe, die hier stattfanden, die Siege und Niederlagen, die hier noch einst Vorkommen werden. Das Lied, das seiner Brust entquillt, wird zum Ausdruck des Nationalgefühles; allenthalben mit Feuer aufgefasst, geht es von Geschlecht zu Geschlecht. Die Donau, dieser heilige Strom der Slawen, übernimmt fast immer eine Rolle in diesen Liedern. Sie durchzieht diese geheimnissvollen Ebenen, dies sehnsuchtsvolle Land der unerrathenen Verhängnisse; und zuweilen ist sie, wie Hesiod’s Ocean, die allerletzte Grenze der bekannten Welt, zuweilen mit Blut gefärbt, wie der Homerische Skamander, wälzt sie die Rüstungen, die Leiber der Kämpfer und die Schätze der Könige. Was aber auch dieses Land in der Dichtung besass, ist Alles sehr gering im Vergleich der Begeisterung, die es unlängst erweckt hat.

 Diese wunderbare und leere Wahlstätte, wo die Ueberlieferung keinen Stein findet, auf dem sie ausruhen könnte, ja nicht einmal einen Baum zum Anlehnen, wo wie Zaleski sagt, die Poesie ........... ausgebreitet — Auf dem blumigen Feldteppiche — Gefangen traurig summet — Wie Begeisterung im jungen Herzen — und nur zuweilen der Wind ein Theilchen losreisst — und hinträgt im leichten Gewölk — ..... über Limane[1] — Ueber Inseln und üppige Grasebenen — Wo meiner Ahnen Geister irren. — Hier nach den Worten eines alten Sehers, auf dieser von Pferdehufen durchwühlten, von Leibern der Gefallenen gedüngten, mit ihren Gebeinen besäeten und feinem Regen warmen Blutes benetzten Ebene, ist üppig emporgeschossen das Trauergefühl. Sehnsucht und Trauer athmen hauptsächlich die Dichtungen jener Gegenden, welche die neuen russischen und besonders die polnischen Dichter mit einer Menge Denkmäler bevölkert haben.

(Mickiewicz's Vorles.)

 Die Gesellschaft der wissenschaftlichen Hülfe (heisst es im Dziennik domowy S. 58 aus Posen) hat einen Rechenschaftsbericht über ihre Thätigkeit bis zum Schluss des Jahres 1842 geliefert. Die Gesellschaft hat Alumnate gegründet, worin sie 24 Zöglinge in Posen, 6 in dem Dorfe Krajewicy im Krober (?) Kreise unterhält; in dem Dorfe Ruska bei Bork, bei dem dortigen Schullehrer, bereiten sich 3 andere Jünglinge zum Lehrfache vor. Andere junge Männer, welche auf die Kasse der Gesellschaft Anspruch haben,


  1. Liman ein schöner See, und daher die polnische Benennung der Seen mit dem Worte Limany im Polnischen.

Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/307&oldid=- (Version vom 17.2.2020)