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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

eine genügende Behandlung des Hussitismus und seines Fort- und Unterganges erwarten, da er bei seinen Schriften an vielfache Rücksichten gebunden ist, und jede derselben eine mehr als doppelte Censur zu bestehen hat.

 Seine Arbeit über die böhmischen Brüder will übrigens Lukaschewicz nur als Vorläufer einer Reihe von Werken angesehen wissen, welche das Auftreten und den Untergang der Reformation in allen Theilen des alten Polenreiches schildern sollen. Zunächst trat er dann mit einer Geschichte der Dissidenten im Grossherzogthum Posen auf, und diese so wie die Arbeit über die polnischen Hussiten bilden die vorzüglichsten Quellen, auf welche gestützt der polnische Graf Krasinski seine ungenügende Geschichte der Reformation in Polen geschrieben hat. Daher kommt es auch, dass Krasinski von dem Eindringen der Reformation in Lithauen so gar wenig und so unsicher spricht; es fehlte ihm an tüchtiger Einsicht in die Sache, da sein Vorgänger sich darüber noch nicht hatte vernehmen lassen. Erst in diesem Jahre hat Lukaschewicz durch sein zu Posen erschienenes Werk über die reformirte Kirche in Lithauen die historische Kenntniss auch über diesen Punkt ungemein bereichert. Die Reformation in Lithauen hat den unermüdlich thätigen Verfasser auch auf das Eindringen derselben in andern russisch-polnischen Provinzen hingeleitet. So ist er jetzt damit beschäftigt, die Geschichte der Reformation in Wolynien, Podolien, Kleinrussland, Galizien und Kleinpolen zu bearbeiten. Es stehen ihm für diese Länder sonst ganz unbekannte Materialien zu Gebote, die ihn in den Stand setzen, den Antheil jener Länder an der Reformation zu schildern, wie es die geschichtliche Wahrheit fordert[1]. —

K.
4. Das russische Weihnachtsfest.
Eine ethnographische Schilderung nach Sacharow.

 Das russische Weihnachtsfest umfasst die ganze Zeit vom Weihnachts - bis zum heiligen Drei-Königs-Tage oder die sogenannten 12 Nächte. Es ist diess das heiterste und ungezwungenste aller russischen Feste; denn in diesen Tagen jubelt und freut sich Alles, Jung und Alt, Arm und Reich, Vornehm und Gering; und wenn in dem Charakter des Russen ein leichter, froher Sinn besonders hervorsticht, so ist es in diesen Tagen, wo er sich demselben ganz hingibt, wo er den ganzen Kern seines innern Lebens ohne Scheu und Hehl entfaltet. Wenn die strenge Sitte — mit Moralität gleich ernst und bedeutungsvoll — das ganze Jahr hindurch den Menschen in gewisse Schranken zwingt, die er ohne Tadel nicht überschreiten darf; so sind es die Weihnachten, wo für den Russen auch diese fallen, und wo nur die Göttin des Vergnügens, der Heiterkeit und des Frohsinns von ihrem rosenbestreuten Throne herab die Erdenkinder regiert. Da sitzen die jungen Burschen und Mädchen ungezwungen neben einander, Hand in Hand, und die Jungfrau spricht frei und unbespöttelt mit dem Jüngling, den sie „erwählt“ hat. Und die guten Väterchen sehen ganz lustig d’rein und erzählen von den alten Zeiten ihrer schönen Jugend, und werden so mitten unter all der Jugend selbst jugendlich. Und die guten Mütterchen sprechen mit Wehmuth von dem reizenden, sorglosen, behaglichen Leben, das sie als Mädchen geführt, und lehren ihre jungen Nachfolgerinnen mit schmerzlich-süsser Freude alte Sagen und Lieder der Heimath, wundervolle Mährchen und unterhaltende Räthsel. — Solch ein freier Ton verbindet in diesen Tagen ganz Russland zu einer Familie, daher sind die Weihnachtstage ein wahres Familien-Fest, entstanden aus dem innigen Verkehr verschiedener Familien unter einander, bestimmt durch freie Annäherung der beiden


  1. Bei dem Interesse, dessen sich die Geschichte der Reformation in Deutschland jetzt erfreut, wird es vielleicht dem deutschen Publikum erwünscht sein, zu vernehmen, dass gedrängte Auszüge aus den Werken von Lukaschewicz nächstens in deutscher Sprache erscheinen werden.
Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/32&oldid=- (Version vom 15.9.2022)