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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

hinreisst. Die Deutschen bewohnen vornehmlich die Städte; alle königlichen Städte aber haben nur eine Stimme auf dem Landtage und die übrigen werden im Komitate mit vertreten[1]. So sind denn die beiden zahlreichsten Volksstämme nur schwach vertreten. Wie leicht wird es unter diesen Umständen den magyarischen Deputirten, mit Hülfe ihrer brüllenden Juratenschaar, die nicht blos die Gallerien, sondern auch den Sitzungssaal gesetzlich anfüllt, die gegenseitigen Deputirten zum Schweigen zu bringen. Welche Scenen fielen bei der berühmten Turopoljer Sache vor! Die Haare stehen einem zu Berge, wenn man die „Väter des Vaterlandes“ in solchem Zustande sieht! So oft einer der Agramer Deputirten seine Stimme erhob, erbebte der Sitzungssaal von einem Gebrülle, das man eher einer Heerde von hundert Bullen zugeschrieben hätte, als den Assistenten der Landesvertreter. Und wenn der königliche Personal nach den fürchterlichsten Anstrengungen die wilde Rotte zum Schweigen gebracht hatte, und etwa ein Klauzál das Wort ergriff und im stolzen Bewusstsein seiner Allgewalt über diese Meute mit Hohn und Verachtung dem Vertheidiger seines Volkes das Wort entriss, welch donnernder Beifallruf erschütterte das Haus! Wo gibt es irgend eine Volksversammlung, bei der ähnliche Auftritte nur denkbar wären? — Und dies sind die Stände des Reiches, welche das Wohl des Vaterlandes berathen sollen, die berufen sind, Gesetze zu geben, gültig für Jedermann, der Gesammtheit nützend, frei von Parteisucht und Eigennutz? — Wie müssen wir doch im innersten Herzen jene würdigen und ehrenwerthen Männer bedauern, welche, wahre Patrioten, unerschütterlich an ihrer eigenen Nationalität anhangend, nichtsdestoweniger aber die anderen ebenfalls achtend, welche, treue Diener des Staates und wahre Väter des Vaterlandes, ihrer Stellung wegen verpflichtet sind, solchen Versammlungen beizuwohnen!

 Nun zu dem vorstehenden Gesetzentwurf wieder zurückkehrend, wollen wir zunächst eine Bemerkung über einzelne Punkte machen, die uns vor Allem bei Lesung derselben aufstiessen.

 Prahlsucht und schale Eitelkeit ist bekanntlich einer der hervorragendsten Charakterzüge des gemeinen magyarischen Edelmanns. Wie wenig die Stimmführer der magyarischen Partei bei dem Reichstage diese Eigenthümlichkeit verläugnen, zeigt der §. 1. Mit Prahlsucht und Eitelkeit beginnt der Gesetzentwurf. Nicht allein der Thronfolger, der präsumtive Erbe des Königthrons soll magyarisch lernen; nein, auch den Erzherzogen und Erzherzoginnen des Hauses soll die Pflicht der Kenntniss des Magyarischen auferlegt werden. Aus eigenem Antriebe lernen sie es ja nicht, weil sie es nicht brauchen können und Besseres zu lernen haben; darum muss das Gesetzbuch den König daran mahnen, er habe es einst versprochen. Wie wird sich der Edelmann freuen, wenn er bei dem Pfluge oder gar bei der Pferde- und Schweine-Heerde, die er hütet, von seinem Nachbar hört (lesen wird er das Gesetz nicht, weil er lesen nicht kann),


  1. Dahin ist also der Bericht eines Ungars über den ungarischen Landtag in der Augsb. Allg. Ztg. zu berichtigen, in welchem es. S. 2342 heisst; „Die Stände fassten in der Cirkularsitzung am 6. Juni einstimmig den Beschluss (also auch mit Einschluss der slawischen Komitate, der deutschen und slawischen Städte), dass die ungarische (will sagen magyarische) Sprache allgemeines Organ der Gesetzgebung, der Administration und des öffentlichen Unterrichts (in Ungarn) werde.“ Die in Parenthese eingeschlossene Folgerung, auf welche sich der Korrespondent so viel zu Gute thut, ist völlig ungegründet. Denn die Cirkularsitzungen sind ja nur vorberathend; ihre Beschlüsse keineswegs bindend, noch als Beschlüsse der Kammer anzusehen, weil Niemand verpflichtet ist, bei den Cirkularsitzungen zu erscheinen. Die Vertreter der Deutschen und Slawen sind daher bei jener Sitzung wahrscheinlich nicht zugegen gewesen, sonst hätten sie gewiss gegen die aus einem solchen Gesetze abzuleitenden Folgerungen protestirt. — Schon dies wenige charakterisirt den ungarischen Korrespondenten als einen umsichtigen, aber desto gefährlicheren Feind der Deutschen und Slawen in Ungarn. Und doch konnte ihn die Augsburgerin zum Berichterstatter auffordern? — die deutsche Augsburgerin? —
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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/338&oldid=- (Version vom 21.3.2020)