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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

seine Beobachtungen, obwohl bisher das Vollständigste über die Montenegriner, so flüchtig, und die Kühnheit, mit der er die wichtigsten Facta erzählt, muss den Leser nur irre führen, wenn er z. B. liest, dass Cernagora, von dem er nur einige Theile besuchte, 418 □M. und eine Bevölkerung von 53,168 Seelen enthält, während die Eingebornen selbst nichts anderes zu antworten wissen, als dass man das Land in 3 Tagen so ziemlich nach allen Seiten hin durchziehen könne; ihre Anzahl aber berechnen diese Bergbewohner, denen die Weiber und die Waffenunfähigen sehr gleichgültig sind, nach der Zahl der Flinten, die sie gegen den Feind spielen lassen können. — Im 17. Jahrhundert bestand das Völkchen, nach venetianischen Nachrichten, aus höchstens 20 bis 30,000 Seelen; als es den Kampf wider die Franzosen, als Herren von Dalmatien, begann, zählte es etwa 50,000 Köpfe. Im Jahr 1835 gab die Grlica, der officielle Kalender von Cetinje bereits 100,000, so dass man nach der neuerlichen Gebietserweiterung als Minimum die Summe von 120,000 annehmen kann. — Die Zahl der Krieger ist genauer bekannt. Das Kontingent der 4 Nahias (Distrikte, in welche das Land zerfällt) ist auf 9000 Flinten oder Streiter gestellt. Davon kommen 3500 auf die Katunska, 2000 auf Rjeczka, 1000 auf Ljeschanska und 2500 auf Cermnischka Nahia. Dazu rechne man das Kontingent der Berde, d. h. der 7 Berge rings um das Land, die zwar nicht zu Cernagora gehören, deren Bewohner jedoch mit der Republik konföderirt sind. Ihre Zahl mag der der 4 Nahien zusammen gleichkommen, denn obgleich die Grlica 1835 nur 15,000 Streiter zählte, so gibt ihnen die dalmatinische Zeitung von Zara doch die Masse von 19,500 Kämpfern (der Atlas von Pavletić, Agram 1843, gibt 24,700 Mann an).

 Cernagora ist kein regelmässiger Staat, vielmehr ein Lager von Insurgenten, deren Leben der Krieg, deren Freude die Rache ist. Fern von allen bürgerlichen Einrichtungen gestehen sie, zum grossen Aerger der anderen Serben, Leuten aller Religionen das Bürgerrecht zu; lateinische Katholiken gibt es in Menge, die Türken bilden sogar einen eigenen Stamm und kämpfen brüderlich in einer Reihe mit den Christen. Die westlichen Nachbarn der Cernogorcen legen ihnen groben Aberglauben bei; sie sagen, der Montenegriner halte sich für berechtigt zu Allem, wenn er nur den Zehnten an die Mönche und die Hälfte von der Beute seiner Czeta’s an das Kloster abgibt. Die religiösen Uebungen vernachlässigt der Cernogorce, fortwährend mit Kampf und Blutvergiessen beschäftigt, im hohen Grade, und während in Serbien Jeder für einen Türken gilt, der nicht des Jahres wenigstens ein Mal das Abendmahl geniesst, enthält sich die Mehrzahl der Krieger oft ihr ganzes Leben desselben und vergisst nicht selten Alles bis auf’s Vaterunser, das Kreuzschlagen und Fasten. Ja der Mörder ist von der Kirche gehalten, zur Busse zwanzig Jahr das Abendmahl nicht zu geniessen, und in dessen Herzen Hass oder Rache wohnt, darf nicht zum Tische des Herrn. — Trotz dem hat jeder Stamm eine oder mehrere Kirchen und 4 bis 5 Klöster, unter denen die von Ostrog und Moracza die vorzüglichsten sind.

 Die Mönche, im Ganzen 15 bis 20 (Popen gibt es ungefähr 200), leben sehr streng und unterscheiden sich von den griechischen blos durch den rothen Fess, den ein seidenes Tuch in Gestalt eines Turbans umschlingt. Der Vladika selbst, in der Türkei nur der schwarze Mönch genannt, kleidet sich wie die anderen Mönche.

 In keinem Winkel der Erde besteht eine so vollkommene Gleichheit, wie in Cernagora; aber wie es die Slawen auffassen und ausüben, bedroht das Princip der Gleichheit nicht die Rechte noch die Existenz der Familie. Jeder Serbe widmet sich bei dem vollen Genusse seiner Unabhängigkeit doch mit allem Eifer dem Wohle der Gesammtheit und trennt sich fast nie von seiner Verwandtschaft, so dass dadurch die Familien sehr zahlreich werden und nicht selten eine einzige ein ganzes Dorf von mehreren 100 Häusern bildet, deren Bewohner sich blos durch den Taufnamen von einander unterscheiden und einem selbstgewählten Oberhaupte

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 331. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/342&oldid=- (Version vom 25.3.2020)