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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

gehorchen. Dieses patriarchalische Leben stiftet die engste Vertraulichkeit unter ihnen und Keiner kann beleidigt werden, ohne dass alle Anderen alsbald seine Vertheidigung übernehmen. Daher die Blutrache und die Familienkriege. Der Cernogorce betrachtet jeden Zank mit seinen Landsleuten als ein grosses Unglück und man hört ihn im heftigsten Zorne sagen; „Im Namen Gottes und des heil. Johannes, schlagen wir uns nicht!“ Ein Gesetz des verstorbenen Vladika besagt: Wer einen seiner Mitbürger mit dem Fusse oder Tschibuk schlägt, kann von dem Beleidigten (wie der Dieb auf frischer That) getödtet werden. Wenn der Beleidigte seinen Zorn mässigt, so muss der Beleidiger 50 Dukaten an ihn und eben so viel an die Starschinen (Aeltesten) des Tribunals zahlen. Es gibt in Cernagora keine Bettler; die Armen gehen nöthigenfalls frei zu den Reichen und erbitten sich entweder gegen Versprechen oder Einsatz ihrer schönen Waffen Vorschuss an Geld, Brod u. dergl.

 Der Krieg gegen die Muselmänner ist so ziemlich die tägliche Beschäftigung der Bergbewohner. Er wird so mörderisch geführt, dass gemeiniglich die Mehrzahl der Theilnehmer mit dem Leben büsst. Den Tod ausser den Schlachten sehen sie überhaupt für das grösste Unglück des Mannes an. „Er ist von Gott, dem alten Mörder, getödtet!“ sagen die Verwandten von Einem, der eines natürlichen Todes starb. Der grösste Schimpf, den man einen Cernogorcen anthut, ist, zu sagen: „Ich kenne die Deinen; alle deine Vorfahren starben im Bett.“

 Auch die Mönche tragen Waffen, kämpfen und vertheidigen ihre Klöster bei türkischen Anfällen. Die Popen, noch weltlicher gesinnt und gestellt, als die Mönche, tragen weder den langen Bart noch die schwarzen Popengewänder, sondern rasiren nach Kriegermanier das Kinn und die Hälfte des Schädels und unterscheiden sich äusserlich durch nichts von den andern. Sie nehmen an allen Kämpfen, selbst an den Familienfehden Antheil, enthalten sich aber dabei als Diener der Kirche des Todtschlags, indem sie nur die Kämpfer anführen oder zu Muth entflammen. Im Kriege führt Jeder seinen Mund- und Schiessbedarf bei sich, denn die Pulvermagazine, die der Vladika in Reserve hält, werden nur im dringendsten Nothfall geöffnet. Den Armen treibt Liebe zur Plünderung, den Reichen Liebe zum Ruhme und Vaterlande in den Krieg. —

 Die Sitten der Frauen richten sich ganz nach dem Gesellschaftszustande, in welchem sie leben. Sie nehmen Theil an dem Krieg, um ihre Angehörigen zu rächen und verschlimmern dadurch ihre Lage noch um so mehr, weil ihnen von den Männern trotz dem die schwersten Arbeiten auferlegt werden, die sie auch unverdrossen ausführen. Grosse Lasten auf dem Rücken, die Flinte in der Hand, sieht man sie die Felsen auf- und niedersteigen und mit Leichtigkeit dem etwa entgegenkommenden Glavar (Familienhaupte) oder einer vornehmen Frau die gebührende Achtung durch Handkuss und tiefe Verbeugung erweisen. Trotz dieser Stellung sind sie keineswegs ein Spielzeug in der Hand des Mannes, wie so oft in civilisirten Staaten, vielmehr stehen sie in jeder Hinsicht unverletzlich da, und der geringste Angriff auf ihre Ehre würde dem Verwegenen das Leben kosten. Nach den alten Volksliedern rechneten sich’s die Krieger zur Ehre, türkische Frauen zu bekehren und zu heirathen; heut zu Tage jedoch halten sie eine Türkin für zu niedrig und unter ihrer Würde, sie zur Lebensgefährtin zu erwählen. Trotz dem kann jede Türkin, selbst bei dem blutigsten Kampfe der Männer, gefahrlos den Boden von Cernagora betreten.

 Nach den Frauen sind die Fremden für den Cernogorcen das heiligste Wesen. Jeder Reisende wird auf die herzlichste Art aufgenommen, mit dem Besten, was das Haus besitzt, bewirthet und sollte es auch der Hausherr entbehren müssen. Er gibt selbst sein Polster her und setzt sich auf einen Stein; mit eigener Hand überreicht er dem Fremden den Kaffee, harte Eier, die Castradina (geräuchertes Ziegen- und Hammelfleisch), Wein u. dergl. Gibt er Euch nach dem ersten Zdravica (Gesundheit!) die Hand, so ist dies ein Zeichen, dass

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 332. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/343&oldid=- (Version vom 26.3.2020)