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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

erfüllt, weil man sieht, dass die reine Offenbarung der Urzeit so[WS 1] schmählich entarten konnte. Und wie hier die Uroffenbarung als das Nachtgespenst erscheint, welches alle Blüthen der schönen Eigenthümlichkeit und Völkerindividualität schonungslos mordet, so ist es in anderer Richtung das Urvolk und die Ursprache. Diese Dreinigkeit zerstört alles Leben so vollständig, nivellirt alle Eigenthümlichkeit so gründlich und löst Alles so sicher in ein farbloses, trübseliges Grau auf, dass die spekulative Anschauung leichtes Spiel hat, auf diese tabula rasa mit Hülfe der Sprachähnlichkeit die bunten Bilder ihrer philosophischen Abstraktionen möglichst phantasiereich hinzumalen und sie zum Ergötzen des Lesers als chinesische Schattenspiele vorüberfliegen zu lassen, obwohl es damit geht, wie von den Hexenmahlzeiten auf dem Blocksberge die Sage erzählt, dass die Geniessenden nicht satt werden, und ein Körnchen Salz alle die schönen Speisen verschwinden macht. Diesem eben so wohlfeilen als verderblichen Unwesen gegenüberzutreten, ist wohl die Pflicht eines Jeden, dem wahrhafter Fortschritt in[WS 2] der Wissenschaft etwas gilt, und kann nur dadurch geschehen, dass Jeder nach seinen Kräften und Mitteln den einzigen Weg wandelt, auf welchem es möglich ist, zu etwas Wahrhaftem, zu klaren Resultaten zu gelangen, nämlich, dass man aus den Quellen selbst, ohne die späteren Ausdeutungen, Erklärungen und Umschreibungen vor der Hand zu berücksichtigen, zusammenstellt, was uns von den religiösen Zuständen, vorerst der in Deutschland wohnenden Slawen, überliefert ist, dass man sodann das Gewonnene mit den jedem Einzelnen zugänglichen Material, welches von slawischen Schriftstellern gegeben wird, vergleicht, und endlich was sich an diese Resultate aus den Sitten, Gebräuchen, Sagen, Liedern und Sprüchwörtern der noch blühenden slawischen Volksstämme anreihen lässt, hinzufügt. Wenn man hierauf für die in germanischen Ländern sesshaften Stammvölker noch den unabweisbaren Einfluss griechischer, römischer, germanischer Mythen und die Einwirkung der christlichen Weltanschauung auf ihre religiöse Bildung durch Vergleichung festzustellen bemüht ist, so wird es späterhin nicht ganz so schwer fallen, das eigenthümlich slawische Element auszusondern und dasselbe möglichst in seiner Reinheit darzustellen, wenn auch nicht geläugnet werden kann, dass besonders in diesem Bezuge es noch auf lange Zeit hin sehr schwierig sein wird, etwas Ganzes und Abgeschlossenes zu erreichen. Der unbedeutende Anfang eines solchen Unternehmens soll hier in diesen Blättern gemacht werden, und wenn ich auch gar wohl weiss, wie wenig ich zu geben im Stande sein werde, so habe ich doch vorgezogen, diese Bruchstücke mit allen Mängeln, welche sie haben, der Oeffentlichkeit zu übergeben, weil ich mir bewusst bin, was mir zur Hand war, fleissig gesammelt zu haben und hoffen darf, anderen, besser unterrichteten und vortheilhafter gestellten Freunden solcher Untersuchungen einen, wenn auch immerhin geringen Anhaltpunkt geben zu können, von dem aus sie Besseres, Würdigeres und Vollständigeres über diesen wichtigen Zweig der slawischen Alterthumskunde bringen werden.

 Was nun die Quellen anlangt, die bei diesem Versuche benutzt worden sind, so reihen sie sich naturgemäss und leicht in drei Abtheilungen. Die erste und vornehmste bilden diejenigen Schriftsteller, welche ihre Nachrichten aufzeichneten, als das Heidenthum in den deutschen Ländern slawischer Zunge noch herrschte oder wenigstens mit der christlichen Kirche, die siegreich vordrang, im kräftigsten Kampfe um Wesen und Sein war. Es sind deren nicht viele und die Nachrichten, welche sie bringen, sind zwar unvollständig und einseitig, aber treu, wahr und einfach, meist aus eigner Erfahrung und Anschauung der Dinge und Verhältnisse geschöpft. Dahin gehören als die wichtigsten: Adamus Bremensis, Saxo grammaticus, Helmoldus Presbyter, Vita Ottonis Pomeranorum apostoli auctore Sefried, desselben Mannes Leben beschrieben von Ebbo, zur Vergleichung die aus beiden gezogene Lebensbeschreibung Otto’s von Andreas Presbyter und Thietmari chronicon. Zu diesen gesellen sich in zweiter Reihe diejenigen

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 338. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/349&oldid=- (Version vom 1.4.2020)