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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

früher, und die neuen Kräfte begannen schneller in der Literatur zu wirken. Zu derselben Zeit, als Derżawin noch auf dem Glanzpunkte seiner poetischen Höhe stand, indem er weder vorwärts noch rückwärts sich bewegte; als Cheraskow, Petrow, Kostrow, Bogdanowicz, Knjażnin und Von-Wisin am Leben waren; als Krylow noch ein Jüngling von 21 Jahren, als Žukowski kaum 6 Jahre alt war und Batjuschkow kaum zwei Jahre zählte; während Puschkin noch gar nicht auf der Welt war: da begab sich ein junger Mann von 24 Jahren ins Ausland. Es war das im Jahre 1789, und der junge Mann war Karamzin. Nach seiner Rückkehr gab er in den Jahren 1792 und 1793 das „Moskower Journal“ heraus, in welchem Derżawin und Cheraskow ihre Arbeiten veröffentlichten. Im Jahre 1794 gab er den Almanach „Aglaja“ in zwei Theilen und einen anderen: „Meine Musestunden“ ebenfalls in zwei Theilen heraus; in den Jahren 1797—1799 liess er drei Bände Gedichte „Aoniden“ drucken, 1802 und 1803 gab er das von ihm gegründete Journal „der Bote Europas“ heraus, welches 1808 Žukowski hatte. Im Jahre 1804 wurde in Petersburg zum ersten Male Ozerow’s Tragödie „Oedipus in Athen“, 1805, 1807 und 1809 sein Fingal, sein Dimitri Donskij und seine Polyxena aufgeführt. Von 1793—1807 kamen die Lustspiele und andere dramatische Versuche Krylow’s heraus; um das Jahr 1810 erschienen seine ersten Fabeln. Von 1805 an zeigten sich auch Żukowski’s und Batjuschkow’s Gedichte in den Journalen.

 Karamzin hatte ungeheuren Einfluss auf die russische Literatur. Er gestaltete die russische Sprache um, indem er sie von den Gängelbändern der lateinischen Konstruktion und der schwerfälligen Kirchensprache befreite und sie der lebendigen, natürlichen Umgangssprache näherte. Durch sein Journal, durch seine Artikel über verschiedene Gegenstände, durch seine Erzählungen verbreitete er Kenntnisse, Bildung, Geschmack und Leselust in der russischen Gesellschaft. Durch ihn und in Folge seines Einflusses trat an die Stelle des Pedantismus und der Schulfuchserei die Sentimentalität und Leichtigkeit, welche beide manches Sonderbare hervorbrachten, jedenfalls aber für die Literatur, wie für die Gesellschaft ein wichtiger Schritt nach vorwärts waren. Seine Erzählungen entbehren der poetischen Wahrheit, aber sie sind wichtig, weil sie den Geschmack des Publikums dem Romane zuwendeten, als der Darstellung der Gefühle, der Leidenschaften und Ereignisse des inneren Privatlebens der Menschen. Karamzin schrieb auch Verse. Poesie ist in denselben nicht. Sie waren nur Gedanken und Gefühle eines vernünftigen Menschen, in dichterischer Form ausgedrückt; aber sie waren durch die Einfachheit ihres Inhaltes, durch die schlichte Natürlichkeit und Regelrechtheit ihrer Sprache, durch die für jene Zeit überraschende Leichtigkeit der Versifikation, durch neue, weit freiere Formen der Diktion ebenfalls ein Fortschritt für die russische Dichtung.

 Viel mehr noch leistete für diese sein Freund und Gehülfe: Dmitriew, der nur fünf Jahre älter war, als Karamzin. Dmitriew war kein Dichter im Sinne der Lyrik; aber seine Fabeln und Sagen waren vortreffliche und wahrhaft poetische Erzeugnisse für jene Zeit. Die Lieder Dmitriew’s sind zart bis zur Widrigkeit, aber der allgemeine Geschmack war damals so. Die Oden Dmitriew’s glänzen mächtig von Rhetorik; aber trotz dem waren sie ein grosser Erfolg von Seiten der russischen Poesie. Es war eine unumgänglich nothwendige Bedingung der Ode, mit donnernden Worten einherzuschreiten und hoch in der Luft erhaben zu schweben. Bei Dmitriew geschah beides in gemässigterer Form; dazu war sein Ausdruck einfach, seine Sprache, seine Diktion vollkommener. Die Form der Oden Dmitriew’s ist originell, wie z. B. in Jermak, wo der Dichter zwei sibirische Schamanen einführt, von denen der ältere dem jüngeren bei dem Brausen der Wellen des Irtysch von dem Untergange seines Vaterlandes erzählt. Die Verse dieses Gedichtes sind für unsere Zeit grob, holprig und unpoetisch; aber damals waren sie vortrefflich und athmeten den Geist der Neuheit. Die Manier

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 347. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/358&oldid=- (Version vom 10.4.2020)