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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

konnte, hat sich die ungarische Sprache nicht auch hier über Hals und Kopf eingebohrt? und wenn sie dazu zu schwach war, liess denn nicht manches Organ der Oeffentlichkeit als ein hoher Goliath seinen nationrächenden Zorn erschallen? Und zu wie vielem Herabsehen und Misshandlungen gab es Veranlassung, wenn sich Jemand durch die Fluth dieser Geistesverirrung nicht wie ein seelenloser Klotz ganz wegstreichen liess, in diesem Vaterlande, wo gerade von jener Seite so manches hochtönende Wort gehört wird, von dem Ausharren, von der menschlichen Würde, von der ungerächt nicht verunglimpfbaren Freiheit u. s. w., die die Hohenpriester solcher Tyrannei und Inprovisationen sind. — Und wuchs denn dieser Alles überschwemmenwollende ungarische Eifer nicht so sehr, dass Derjenige, der muthig genug ist, sein Wort zu erheben mit noch so grosser Bescheidenheit, als wenn uns vielleicht eine kleine Schonung, ein wenig Geduld weiter führen könnte und das vaterländische Gewächs besser reifen würde, als das jetzt moderne unaufhörliche Peitschen, welches Viele nicht weniger schlecht erachten, als die Knute; ist dieser übertriebene Eifer nicht so sehr angewachsen, frage ich, dass der, welcher die Sache in solcher Gestalt sieht und auch muthig sein Wort erhebt, nicht ausgesetzt sei, mit dem widerlichsten Schmutz des schlechten und feigen Patriotismus, ja sogar des Vaterlandsverrathes in allen Variationen befleckt zu werden von denen, deren — wie sie sagen — jeder Tropfen Blut für die gegenseitige Würdigung und das Prinzip der ganz freien Ideenreibung erglüht, und die ernste Feinde der Verläumdung sind?

 Dumm oder schlecht?[1] Herr Sincerus bemerkt in seiner Uebersetzung von Szechenyi’s Rede über die ungarische Akademie, S. 21, man dürfe den Wunsch des Grafen, die magyarische Sprache möchte allgemein werden, natürlich nur auf Ungarn beziehen, und setzt hinzu: „Einen solchen Wunsch kann und darf man keinem guten Vaterlandssohne zur Last legen.“ Zwei Seiten darauf fordert er, man müsse den Ungar, d. i. Magyaren loben, dass er „die Sache seiner Nationalität bis auf’s Aeusserste verficht und sich hierin durch Nichts auf der Welt zu einem Vergleiche bewegen lässt“ und setzt hinzu: „diese Zuversicht muss ein jeder Edeldenkende gegen alle civilisirten Nationen Europas hegen (nur gegen die Magyaren nicht, denn sie sind weder edeldenkend noch civilisirt). Und es wäre äusserst traurig, wenn man sich hierin doch täuschen müsste (bei den Magyaren täuscht man sich nicht, denn die tägliche Erfahrung und ihr Reichstag beweist es nur allzudeutlich); ja es wäre zu verzweifeln über das Loos der Völker auf Erden, wenn sie auf der Stufe der Aufklärung und der moralischen Bildung dahin gelangt wären oder doch baldigst gelangen würden, dass sie die Rechte eines Nationalindividuums nicht so anerkennen, heilig halten und beschützen könnten oder wollten, wie sie es thun hinsichtlich eines einzelnen Menschen. Wenn dies denkbar wäre, wenn die Nationen, nachdem sie schon ein Nationindividuum, die Polen, erdolchen liessen, auch noch eine zweite (wenn es die Slowaken wären, schadete es nichts, denkt der Verfasser) oder sogar dritte Nation um ihre Existenz oder auch nur um ihre Rechte bringen lassen und diesem Völkermorde ruhig zusehen könnten, da wäre Europa wirklich würdig, dass es durch Russland tüchtig durchgepeitscht werde, ja dass über dasselbe eine neue Sündfluth komme, damit sie das Blut wegwasche, welches zum Himmel um Gerechtigkeit schreit.“

 Wenigstens lächerlich! Der Pesti Hirlap (bekanntlich eine ultramagyarische Zeitschrift) berichtete vor einiger Zeit: Se. k. k. Apost. Maj. hätten allergnädigst geruht, dem Vesprimer Salzkontroleur Robert Schmidt zu erlauben, dass er seinen Namen „in den magyarischen Kovacs verwandele.“ (Kovacs-kovacz ist reinslawisch, wie die Magyaren überhaupt überaus viel slawische Wörter haben).

 „Wahrlich, die Welt muss an dem Herzen und dem Verstande der Magyaren irre werden, so gefühllos, so widersinnig und inkonsequent ist ihr Benehmen. Ihre Redner und Schriftsteller preisen bei jeder Gelegenheit das feurigstolze magyarische Nationalgefühl; sie nennen es ihr edelstes Gut, die sicherste Bürgschaft ihres Ruhmes; und dabei entblöden sie sich nicht, dasselbe Gefühl der Slawen, und wohl auch der Deutschen, einen verwünschten Nationalteufel zu nennen, den sie mit Gewalt austreiben wollen. Sie führen beständig die schönsten Redensarten von Freiheit und Gleichheit im Munde, und beweisen sich dabei als rücksichtslose Despoten gegen Millionen; sie hassen und verdammen die Gewaltthaten Russlands in Polen und ahmen doch das russische Verfahren genau nach, ja verlangen sogar, dass Galizien ihrem Reiche einverleibt und magyarisirt werden solle. Während der letzten polnischen Revolution baten sie die Regierung um die Erlaubniss, den Polen mit einer Armee zu Hülfe zu ziehen, und jetzt wollen sie einen wesentlichen Theil Polens magyarisiren. “

(Oestreich und Ungarn.)


  1. Unter dieser Ueberschrift wollen wir von nun an ähnliche zufällig uns aufstossende Expectorationen des magyarischen Knechtungsliberalismus mit kurzen Worten andeuten. Wir hoffen, unsere magyarischen Freunde werden uns noch hinlänglichen Stoff dazu geben; selbst wenn wir gar nicht darauf ausgehen, ihn zu sammeln; denn das halten wir unter unserer Würde, haben auch die Zeit nicht dazu.
Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 376. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/387&oldid=- (Version vom 14.2.2021)