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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

 Aus windbeutlichem Müssiggange endlich entspringt das Nachäffen fremder, oft der wildesten Moden und Sitten in materieller, moralischer und literarischer Hinsicht. Thörichter Weise unsere eigene Lage vergessend, wenden wir eilfertig unsere Augen nach Paris, wie der fromme Muhamedaner nach Mekka, und zeigen nach dem, uns von ferne gezeigten Spielzeuge so lange, bis an seine Stelle uns ein neues in die Augen fällt. Von daher kommen die dutzendweisen Artikel über den Fortschritt, über das Auffassen des Zeitgeistes, die pomphaften Deklamationen vom Wohle der Menschheit, als kämen sie von den Lippen eines Retters des Menschengeschlechts, und welche, genauer erwogen, nur die Gedankeleere und die geistige Armuth verdecken u. s. w. Denn der halbgekochte Gelbschnabel findet es leichter, nach Durchlesung einiger Träumereien in einem deutschen Journale einige Blätter auf dem „schlüpfrigen Grunde der empörten Fluthen“ vollzuschmieren, als die nothwendige Zeit abzusitzen in der Absicht, die erforderlichen Vorkenntnisse sich anzusammeln, um in der Zukunft in irgend einer Wissenschaft ein guter Schriftsteller oder wenigstens ein nützliches Glied der Gesellschaft zu werden und der böswillige Schriftsteller, der vielleicht keine Vorstellung von der Mühe und Anstrengung hat, mit welcher jede ausgedehntere Arbeit unzertrennlich ist, vermag beiweitem leichter in einem Geschreibsel von einem oder einem halben Bogen das Verdienst unserer ausgezeichnetsten Schriftsteller, der Siarczyński’s, Wiszniewski’s, Kamieński’s und Anderer herabzusetzen, als sich selber an die Arbeit zu machen und ein nützliches Werk zu schreiben, leichter, die beispiellosen Aufopferungen der edelsten Männer für Menschlichkeit und Nation zu schmähen, als selbst das geringste Opfer zu bringen. Dies ist mit geringen Ausnahmen der Zustand unserer Gesellschaft. Wie der Baum, so die Früchte! Man sehe daher die ungeheure Reihe von Werken, die im Verlaufe des Jahres 1842 im Grossherzogthume Posen bei einer polnischen Bevölkerung von 2 Millionen durch den Druck veröffentlicht wurden:

 a) Periodische Schriften.

 1) Tygodnik litracki. Er kam zuerst bei Stefański in Posen, dann bei Günther in Lissa heraus. Schon in den früheren Jahren sagten wir, eine Zeitschrift müsse, um gut zu sein, eine wissenschaftliche, umsichtige Redaktion haben, und meinten, die Redaktion des tygodnik zeige zu wenig Kenntniss und Ubersichtlichkeit (rozsądek). Jetzt aber haben wir uns überzeugt, dass wir in grobem Irrthume waren. Man nehme die letzten Nummern des tygodnik zur Hand und überzeuge sich, dass die Redaktion sich im letzten Stadium des Delirium’s befinde. (Wir können eine solche Polemik keineswegs gut heissen, und wenn wir auch einerseits eingestehen, dass der tygodnik in seinen letzten 2 Jahrgängen schwächer ist, als je in den früheren, und manche Hoffnung, die wir zu ihm gehabt, nicht befriedigt hat, so können wir doch andererseits nicht das einzelne Gute übersehen, was er besitzt; am allerwenigsten glauben wir, dass die Idee, welche er vertritt, mit den Waffen abgethan werden kann, mit welchen man ihr bisher entgegengetreten ist).

 2) Dziennik domowy. Eine nützliche Zeitschrift, die in früherer Form weiter erschien, und viele gute Artikel, besonders treffliche Novellen brachte.

 3) Orędownik naukowy. Von den früheren Mitredakteuren des tygodnik literacki herausgegeben, zeichnet sich unter den Posener Journalen durch reinere Sprache vortheilhaft aus. Seine politische Haltung ist zu unbestimmt, als dass man über dieselbe ein Urtheil fällen könnte; doch gewinnt er immer mehr an Verbreitung und Ansehen, und wird wahrscheinlich den Tygodnik allmählig aus dessen Lesekreise verdrängen.

 4) Die Sonntagsschule, eine Zeitschrift für das Volk, erscheint in Lissa bei Günther, und entspricht ihrer Bestimmung vollständig. Nur Schade, dass unser Landvolk nicht (?) so viel wissenschaftliche Vorbildung hat, um sie zu lesen.

Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 416. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/427&oldid=- (Version vom 14.2.2021)