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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

über denselben an einem anderen Orte (Blatt. f. litt. Unterh. 1840) ausgesprochen und halten es für überflüssig zu wiederholen, wie hoch wir die Verdienste dieses eben so regsamen und entschlossenen als talentvollen und freidenkenden Mannes anschlagen. Ueber seine dramatische Wirksamkeit, die erst von jüngerem Datum ist, schreibt Krajewski so: „Der Voltaire und Göthe unseres Zeitalters, warf sich Herr Polewoj endlich auch auf die dramatische Poesie. Seine kleinen Stücke sind nicht ganz schlecht; — er schreibt ohne weiter zu berechnen; lässt drucken, ohne darauf stolz zu thun, bringt sie auf die Bühne, ohne nach dem Beifall der Menge zu jagen, obgleich er — aus Höflichkeit — doch auch hervorkommt, wenn das Publikum des Alexandertheaters ihn herausruft. Was sind ihm auch diese Kleinigkeiten! Sie können ja ohnehin seinem Ruhme weder etwas hinzubringen noch abnehmen (diese Ironie bezieht sich zunächst auf die patriotischen Stücke Polewoj’s, welche er für die Beneficianten schreibt, und welche ihm, dem einst so freisinnigen Kritiker, in den Augen Vieler und zwar mit Recht Schaden gebracht haben). Aber auch in den nicht patriotischen Stücken sucht Herr Polewoj sein Verdienst. Hier will er mit Shakespeare in die Schranken treten, und wenn ihn auch nicht besiegen, so ihm doch nicht weichen! — Zu diesem Zwecke machte er zuerst den Hamlet „zurecht,“ d. h. arbeitete ihn um und erreichte ohne alle Berechnung und Absicht, ja vollkommen sich selbst unbewusst, dieses herrliche Ziel. Indem er dieses für die Ewigkeit bestimmte collosale Werk in einen Miniaturrahmen hineinzwängte, brachte er es eben dadurch dem Sinne der Menge näher und machte mit Hülfe einiger talentvollen Acteurs diese schwache Copie des Shakespeare’schen Werkes, welche ihr Original darstellte wie ein Wassertropfen, in dem sich die Sonne spiegelt, einheimisch und nationell in Russland. „Die Umarbeitung des Hamlet von Polewoj ist im Vergleich zum Original natürlicher Weise sehr unglücklich ausgefallen, da die tiefsten Gedanken und die erschütterndsten Stellen häufig verwischt sind bis zur Unkenntlichkeit; allein Polewoj’s Absicht war eine andere; wenn Hamlet von dem Alexanderpublikum nur irgend wie mit Nutzen gehört, ja nur verstanden werden sollte, so musste er in ein Gewand gebracht werden, in welchem er dem niedern Beamtenstande und den mittlern Bürgerclassen in Petersburg zugänglich war. Was hätte es genützt, eine vollständige Uebersetzung des grossen Werkes des Genius zu geben, wenn das Publikum nicht im Stande gewesen wäre, die Erhabenheit und die Grösse desselben zu fühlen. Dass Polewoj sein Publikum sehr wohl kannte, und Tact genug hatte, ihm zu bieten, was es zu geniessen fähig war, zeigt der Erfolg, welchen das Stück hatte. Polewoj’s Hamlet, obgleich fast nur ein Schatten des Shakespearischen, machte Furore auf der Bühne, und wurde, wie Krajewski selbst gesteht, ein Nationalstück. Ein anderes, was die Vaterl. Mem. Polewoj vorwerfen, ist, als habe er es eingeführt, dass man den einzelnen Acten recht anziehende Ueberschriften gebe. Dies fordere die Kunst Theaterzettel zu machen, und in der sei Herr Polewoj sehr bewandert. Es ist wahr, er versteht es vortrefflich; allein zumeist nützt das doch nur der Kasse oder dem Beneficianten, für welchen er geschrieben; auch hat Polewoj diess Titelmachen nicht erfunden; was man an ihm tadeln könnte, ist einzig das, dass er sich herbei lässt, diesen Missbrauch mitzumachen, und sich so gleichsam selbst zu jener Classe von dramatischen Schriftstellern herabdrückt, welche solcher Mittel bedürfen, um ein Publikum heran zu ziehen. — Ferner wird Polewoj von Krajewski getadelt, dass er seine Stücke „dramatische Vorstellungen“ nenne; „William Shakespeare und Herr Polewoj,“ so lauten seine Worte, „nennen ihre dramatischen Versuche (?!) niemals Dramen, noch Tragödien, sondern immer „dramatische Vorstellungen“ — ein Privilegium des Genius!“ — Es ist diess eine kleine Eitelkeit Polewoj’s, welche wohl ein scherzhaftes Belächeln verdient, aber nicht werth ist eines immer und immer wiederholten journalistischen Federkrieges. Der Kritiker, welcher alle Augenblicke auf solche Kleinigkeiten zurückkommt, um dem „Bekrittelten“ einen Klaps versetzen zu können, erscheint uns immer als ein händelsüchtiger Raisonneur, der durch solche kleine Bekleksungen den wohlverdienten Ruf eines Mannes verdunkeln will, der

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/43&oldid=- (Version vom 14.9.2022)